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Bugschuß

Bugschuß

Titel: Bugschuß
Autoren: Hardy Pundt
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Kollegen, sie sollen keine Dummheiten machen. Es wäre doch schade, wenn ich schießen müsste … auf Sie, oder Ihre Leute da oben. Schießen kann ich, das wissen Sie ja!« Ein hämisches Lächeln überzog für einen Moment sein Gesicht, das konnte jedoch allenfalls der Präzisionsschütze sehen, mit seinem hoch entwickelten Gewehr, dass über ein Fernrohr mit bis zu 24-facher Vergrößerung verfügte, Laserentfernungsmesser inklusive. Er war sich bewusst, dass der nicht zögern würde, ihn außer Gefecht zu setzen, bevor er selbst einen Schuss abgeben könnte. Diese Leute waren Vollprofis, geschult, wendeten den Blick nicht ab, wussten, worauf sie zu achten hatten und wann sie eingreifen mussten, wenn das Leben anderer gefährdet war.
    Er hatte sich strafbar gemacht, erstmals in seinem Leben, obwohl er schon Jahre im Knast zugebracht hatte. Aber in ein Gefängnis würde er nie, niemals wieder gehen.
    Meinertz überkam wieder diese Nervosität. Es bildeten sich Schweißtropfen auf seiner Stirn, die langsam herunterrannen und drohten, in seine Augen zu fließen. Genau wie bei den Schüssen am Großen Meer, auf das Haus von Wientjes in Constantia, am Wall in Emden. Bislang hatte sich Meinertz gewundert, doch in diesem Augenblick wurde ihm schlagartig klar, warum ihn diese Nervosität übermannte. Immer, wenn er sich an seine Haft erinnerte, kamen die Bilder zurück. Dieser Teil seiner Vergangenheit wurde in jenen Momenten noch einmal lebendig, die Drangsalierungen, die Verhöre, das Licht, am Tag, in der Nacht, immer, die unendliche Leere … Nein, nie wieder würde er in ein Gefängnis gehen, auch wenn eine andere Behandlung zu erwarten wäre. Nie wieder!
    Der Scharfschütze mochte die Bitterkeit erkennen, die jetzt in seinen Zügen lag. Meinertz’ Gedanken durchflogen Stationen seines Lebens im Zeitraffer. Eben noch in seiner Kindheit, war er bald beim Schulabschluss, Pläne für die Berufsausbildung. Doch erst war der Wehrdienst zu absolvieren. Nationale Volksarmee. Er ging ohne Vorurteile an das Werk der Verteidigung, lernte vieles, von dem er jedoch während dieser Zeit mehr und mehr dachte: Wozu? Er kannte damals niemanden im Westen, wie auch, und trotzdem waren es alles Feinde? Der Leutnant hielt viel von seinen Schießkünsten. Genosse Leutnant. Irgendwann eckte er erstmals an. Zu spät zum Appell erschienen hatte er zur Entschuldigung gegenüber einem Vorgesetzten, der ihn ob seines Vergehens vor der ganzen Kompanie angeschrien hatte, erklärt, er habe pinkeln müssen. Das hatte ihm einen Tag in einer Zelle und Sonderdienst eingebracht. Mangelnder Respekt gegenüber Vorgesetzten, erzieherischer Nachholbedarf wegen Unzuverlässigkeit.
    Mehr und mehr stoisch und jeden Tag einen imaginären Strich an der schmuddelig weißen Wand des Kasernenzimmers machend, acht Mann Belegung auf gut 16 Quadratmetern, war der Tag der Entlassung gekommen. Gefreiter, das war er schnell gewesen, aber danach kam nichts mehr. Einmal, ein einziges Mal was falsch gemacht und deswegen nicht mehr befördert. Viele hatten einen höheren Dienstgrad erreicht. Wieder andere waren ambitionierter, je nach Schulvorbildung, eine Offizierslaufbahn, zum Beispiel. Für ihn war Sense. Immerhin war das irgendwann überwunden. Und danach? Studium? Sprachen hätten ihn interessiert, Literatur. Nach drei Jahren stumpfer Betätigung in einer Welt aus Befehl und Gehorsam und fortwährend wiederkehrender Sprüche über den imperialistischen Feind brauchte er neue Themen, geistig Anregendes, etwas, was ihn einfach interessierte, so dachte er.
    Sprachen und Literatur waren belegt. Technik sei gefragt, Technik und Industrie würden den Sozialismus weiterbringen. Man bot ihm, nach längerer Wartezeit und unerwartet, einen Studienplatz an, mit Hängen und Würgen schaffte er den Abschluss. Er kam mit Gruppen in Berührung, die nicht etwa den Sozialismus abschaffen, aber ihn verbessern wollten, ihn sich menschlicher und demokratischer erhofften. Dass er nun beobachtet wurde, war zu vermuten. Der Werkleiter hatte es doch auch angedeutet. Offen redete niemand darüber.
    Als sie ihn mitgenommen hatten, war ihm alles aufs Butterbrot geschmiert worden, was nur im Entferntesten auf staatsfeindliche Handlungen hinwies. Die Haft hatte ihn zermürbt. Vielleicht war er gerade deshalb so lange dort gewesen, weil er anfangs versucht hatte, sich nicht unterkriegen zu lassen. Sie hatten alle Register gezogen: Desorientierung des Häftlings, Isolierung und permanente
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