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Bugatti taucht auf

Bugatti taucht auf

Titel: Bugatti taucht auf
Autoren: D Loher
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sie Pelle nannte und der Schwedisch und ein irgendwie lallendes Französisch spricht (als hätte er eine Verdickung in der Zunge). Aber beim Essen benahm er sich normal. Und Minerva hatte mich eingeladen. Und Alexandre. Sie stellte uns vor: »Das ist mein Geliebter Alexandre, und das ist mein Geliebter Rembrandt.« Alle lachten, auch Alexandre. Es schien nicht das erste Mal zu sein, dass sie ihn vor der Familie so nannte. (Sie sagte wirklich »mon amant«.) Niemand schien etwas dabei zu finden.
    Ich lachte nicht, Minerva fragte mich, warum ich ernst wäre; ich sagte, ich müsse mich aufs Essen konzentrieren.
    Während des Hauptgangs sagte Monsieur Pellotti zu mir: »Da Sie jetzt der Geliebte meiner Tochter sind, sollten Sie eines wissen: bei uns zählt die Emotion, immer die Emotion, das Herz, der Respekt.« Ich nickte. Er: »Wir haben sehr viel Geld, mein Lieber (mon cher), noch mehr Geld als wir in Italien hatten, und wie es aussieht, und wenn alles gut geht, werden wir nach dem Krieg noch einmal mehr haben, aber eines ist gewiss: das Geld zählt, das Geld zählt, es ermöglicht uns, Menschen zu sein.«
    So einen Unsinn redete Pellotti; wenn er mein Vater gewesen wäre, hätte ich mich geschämt. Fehlte noch, dass er sagte, Geld heilt unsere Gedanken oder etwas Ähnliches.
    Und dann fragte er mich: »Und was zählt für Sie, Rembrandt, was ist das Wichtigste in Ihrem Leben?«
    Ich war drauf und dran zu sagen, »meine Arbeit, die Kunst«, aber damit hätte ich einen Verrat begangen, und ich fand, dass die Schüsseln mit Rinderbrühe, die Platten mit dem Fleisch der Schweine, die Crème brulée, das Porzellan, die Teppiche und die Lüster (und die Gesellschaft dieser Leute) einen Verrat nicht wert waren, und selbst Minerva, von der ich in diesem Augenblick nichts mehr wollte, als dass sie wieder jung wäre, 19, und wie früher, oder in einer anderen Familie aufgewachsen, und die möglicherweise einen Verrat wert wäre, wäre aber nicht diesen Verrat wert.
    Und deshalb sagte ich: »Die Zeit. Ich glaube, die Zeit ist mir das Wertvollste.«
    Sie schwiegen. Niemand sagte etwas darauf. Sie aßen unbeteiligt weiter, und es war so, als hätten sie mich nichts gefragt und ich hätte nichts geantwortet.
    (Aber später sollte es viel schlimmer kommen.)
    Nach Tisch gingen Roberto und seine Verlobte auf die Terrasse hinaus, wo sie sich, ohne zwischendurch Luft zu holen, eng umschlungen küssten, stundenlang, wie es schien. Clarice und Pelle küssten sich auch, und zwischendurch rauchten sie zusammen jeweils eine Zigarette – sie zogen abwechselnd daran – und spielten Billard, sie benutzten abwechselnd dasselbe Queue. Und Minerva küsste Alexandre im Sitzen, damit es ihren Beinen nicht so weh täte. Wir saßen zu dritt auf dem Sofa im Billardzimmer, sie in der Mitte natürlich, Minerva wollte auch mich küssen; die Eltern, eine Tante und eine sogenannte Schwiegermutter (wessen weiß ich nicht) saßen im Salon und sahen durch die geöffnete Tür herüber, und es fehlte nur, dass sie uns zuwinkten und sich dann auch alle küssten.
    Ich stand auf und lief weg.
    Am andern Tag erst merkte ich, dass ich meinen Mantel dortgelassen hatte. Mein Kopf brannte. Ich bekam Fieber und legte mich ins Bett.
    Minerva schickte einen Boten, ob es mir gutgehe. Sie wollte sich für nichts entschuldigen. Sie liebe mich, ich hätte ihre Liebe ganz, zum Glück sei das so, dass die Liebe für zwei Menschen ja eine verschiedene und unteilbare sei, und dass sie – die Liebe – deshalb praktischerweise so oft zu vergeben sei, wie man es zeitlich noch handhaben könne.
    Ich beruhigte mich.
    Vielleicht hatte Minerva recht. Ich wollte nicht egoistisch sein.
    Ich schrieb ihr, es sei nichts zu vergeben. Sie solle mir bitte meinen Mantel schicken. M.s Antwort: Hol ihn dir doch!
    November 1915
    Ich habe Minerva wiedergetroffen. Ich sagte ihr, sie könne so viele Männer lieben, wie sie wolle, aber ob diese meine Freunde werden könnten (oder müssten), das wisse ich nicht, ich bräuchte ein wenig Zeit, um mich an den Gedanken zu gewöhnen.
    Minerva fragte mich, ob ich einen anderen Mann lieben könnte.
    Mein Kopf brannte. Ich fragte sie, was genau sie damit meinte.
    Sie sagte, alles.
    Ausschließen könnte ich es nicht, war meine Antwort.
    Minerva küsste mich auf das schlechte Ohr, sie küsste das Ohr lange und leidenschaftlich oder was sie dafür hielt. Es war hinterher nass, zerbissen und tat weh. Ich fühlte mich ausgehöhlt.
    Nachts träumte ich von
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