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Bugatti taucht auf

Bugatti taucht auf

Titel: Bugatti taucht auf
Autoren: D Loher
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1914
    Während ich im Atelier an dem Elefanten arbeitete, kam Hugues hereingestürzt, eine Zeitung in der Hand. »Auf dem Balkan knallts«, sagte er. Was das heiße. In Sarajevo seien der Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau erschossen worden. Es heißt, ein Student war es, er wird als bosnischserbisch bezeichnet und soll Nationalist sein. Angeblich hat er versucht, Zyankali zu schlucken. Er wollte erreichen, dass die Wiener abziehen und Serbien herrsche.
    Der Elefant steht aufrecht auf den Hinterbeinen, die Vorderbeine in der Luft; in einer ersten Form hatte ich ihm einen Baumstamm gegeben, an dem er sich mit den Vorderfüßen abstützte; dann nahm ich den Baumstamm weg und es sieht aus, als ob der Elefant tanzt. Es wird eine kleine Bronzefigur, nur einen viertel Meter hoch, aber groß genug für einen Kühler. Ein Elefant für ein Auto.
    Der Elefant soll dich begleiten, Ettore, das wünsche ich mir, darum bitte ich dich.
    Er ist das Lebendigste, was mir gelungen ist,
    die Lebensfreude
    etwas Besseres
[unleserlich]
nicht für dich
    Juli 1914
    Elise ist blind. Sie hat mich nie gesehen, sie kennt nur meine Stimme. Auch Patrick hat sie nie gesehen, auch von ihm kennt sie nur die Stimme. Sie hat also meiner Stimme nicht den Vorzug gegeben, und ich weiß nicht, was sie hört, wenn Patrick spricht, oder was er sagt, mit seiner anderen Stimme, die sie glauben macht, sie liebe ihn.
    So oft habe ich mir vorgestellt, wie ich ihre Hände auf den Löwen oder Tiger legen würde, der Löwe oder Tiger, der erst noch zu formen wäre, und sie mit ihren Fingern ahnen könnte, besser, als ich es je sehen würde, wohin die Linie sich schwingen müsste.
    Anfang August 1914
    So viele sinnlose Dinge, täglich, die Hauptarbeit besteht darin, sich der Sinnlosigkeit entgegenzustemmen, dem »vergeblich« irgendetwas entgegenzusetzen, und seien es dumme
[unklar, evtl. auch »dünne«?]
kleine Tierfiguren.
    Ich höre nicht mehr so gut, glaube ich. Früher habe ich die Elefanten trompeten hören, auch wenn ich vorne in der Großen Halle war oder hinten im Aquarium. Heute höre ich sie erst, wenn ich bei den Flamingos, bei den Vögeln oder bei den Affen bin. Und die Elefanten, so viel kann ich sagen, trompeten laut, wenn auch nicht oft.
    Das Ultimatum, das die Deutschen der belgischen Regierung gestellt hatten, ist gestern abgelaufen. Heute sind die ersten Truppen über die Grenze marschiert. Wie können sie die belgische Neutralität einfach ignorieren? Was wird Ettore tun, im Elsass, was soll aus ihm und seiner Fabrik werden, wenn die Franzosen in den Krieg eintreten?
    Ende August 1914
    Ich sollte schon längst fertig sein mit dem Panther. Hugues, Walter und die anderen, oft sind sie …
[unleserlich]
… oder erstaunt, weil ich schnell bin, schneller als sie, das sagen sie oder es kommt ihnen so vor, für mich ist meine Langsamkeit eine Bürde, eine der größeren.
    Wie viel Zeit habe ich
    noch
    Es kommt mir so vor, seit ich in Antwerpen bin – seit 1907, macht also sieben Jahre –, als würde sich die Zeit immer mehr verlangsamen; anfangs, das erste halbe Jahr, die ersten vier Monate oder zwei, da beschleunigte sich alles. Bis ich die erste Gruppe der Pferde fertig hatte, seither geht es wenig, zu wenig rasch, die Sekunden bleiben stehen, sie balancieren auf der Spitze, bis eine umfällt, es vergeht eine Stunde voller Atemzüge.
    Ein Tag
    Soldaten kommen zurück.
    Erst die Pferde, jetzt die Soldaten.
    Lüttich wird bombardiert, die Deutschen sollen eine monströse Kanone haben.
    Aus Leuven haben sie über tausend Menschen verschleppt, heißt es, zivile Bürger.
    Jeden Tag neue Verwundete. Sie bringen sie in den Zoo, in die Marble Hall, die Schwerverletzten werden im Erdgeschoss untergebracht, die noch selber gehen können, kommen nach oben, Stufe für Stufe, sie stützen sich auf das Geländer, die Treppe ist breit, aber so hoch. Walter und ich, wir melden uns beim Roten Kreuz. (Es ist jetzt nicht die Zeit, Tiere zu formen, sage ich zu Clemente, die mich fragt, warum, wahrscheinlich hat sie Angst um Walter, diese Dummheit, dieses kleine gepresste Flehen in ihrer Stimme ertrage ich nicht, ich würde am liebsten eine der Vasen in ihrer Wohnung auf dem Boden zerschmettern.) Walter: Ich glaube, er sieht es als Buße für den getöteten Mann und nimmt es als die Strafe, der er de jure entgangen ist?
    Die Tiere sind wichtig, die Skulpturen nicht.
    Die Kranken immerhin, sie leben noch.
    Schusswunden, Stiche tief ins Fleisch (Säbel, Messer,
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