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Bugatti taucht auf

Bugatti taucht auf

Titel: Bugatti taucht auf
Autoren: D Loher
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Schweine, Enten, Gänse, Tauben.
    Und alte Pferde. Woher? Aus Irland, hieß es. Von den Bergwerken.
    Da verschifft man sie extra hierhin, nach Antwerpen? Lebendes Fleisch, für den Schlachter.
    Man kann aber die Rippen zählen.
    Sie waren müde und reagierten kaum auf ihre Umgebung. Standen dicht zusammen, drängten sich aneinander auf eine seltsame Art, sie streckten ihre Köpfe über den Hals des anderen und legten ihre Hälse aufeinander, es sah aus, als ob sie ein lebendes Muster flechten wollten mit ihren Mähnen. Der Bewuchs an ihren Fesseln war nicht gestutzt, ausgebleichtes Blondhaar hing über die Hufe bis zum Boden, ihre Mähnen lang und filzig. Ich konnte ihre Augen nicht sehen, aber aus den Bewegungen schloss ich, sie wussten, was ihnen bevorstand.
    Irische Windsbräute, in Pferdeleiber gebannt.
    Wenn ich Geld hätte, hätte ich sie gekauft, vielleicht, in einen Wald nach Frankreich gebracht, oder zu meinem Bruder in die elsässischen Hügel, und dort freigelassen.
    Ich hätte es nicht getan, ich bin nicht romantisch.
    Und die Belgier lieben Pferdewurst. Mit Bier.
    Nein, die Pferde haben natürlich keine Ahnung von ihrem Schicksal, wie sollten sie.
    Nur uns, uns ist es nicht egal, ob wir eines natürlichen Todes sterben oder geschlachtet werden.
    Und unsere Gesichter, manchmal, oft, sagen sie, gebt mir Zeit, helft mir ein bisschen, schwarz ist die Kirche um mich.
    Aber diese Gesichter wollen wir niemandem zeigen, die Scham versteckt sie.
    Mai 1914
    Etwas Schreckliches ist passiert. Heute Morgen wussten wir nichts davon, heute Abend sitze ich hier, etwas hat sich verändert, es ist nicht rückgängig zu machen.
    Clemente und Walter hatten sich das Auto von Clementes Onkel geliehen, einen Zweisitzer, Walter ohne Erfahrung. Sie sind für eine Woche nach Brüssel gefahren, um Clementes Schwester zu besuchen (der Mann leitet eine Brauerei, sie hat gerade das zweite Kind bekommen). Sie fahren zum Spaß den Boulevard Anspach hinauf und hinunter, Clemente jauchzt, schneller und schneller, hinauf und hinunter zwischen den Häusern, die Passanten sehen hinterher, dann in die Rue du Midi, zum Spaß, hinauf und hinunter, weil es ein sonniger Tag ist und warm, und Clemente ruft, los, wir machen ein Rennen, wir überholen, es sind nicht viele Autos unterwegs außer ihnen, Clemente später: Walter war ganz versunken, Walter – vielleicht hörte er sie gar nicht, er war mit Schalthebel, Gaspedal und Bremse beschäftigt –, Walter, wir müssen überholen, schneller, Clemente ist aufgedreht, sie sagt: ja, ich habe das Lenkrad angefasst, er hat mich ja nicht gehört, ich wollte nur ein Signal geben, wir müssen überholen, er sah mich böse an, kurz und böse, und beschleunigt und zieht auf die andere Straßenseite und überholt und zurück auf die Fahrspur und wir jagen davon, das andere Auto hinter uns lassend, und da – schwarz in der Sonne aufblitzend, schießt der Mann auf seinem Fahrrad auf die Straße, von rechts schießt er plötzlich auf die Straße, aus der einzigen abschüssigen Gasse weit und breit, Walter reißt das Lenkrad herum und steigt mit Wucht auf die Bremse, ein ekliges hohes Geräusch, etwas explodiert in unsere Seite, das Auto scheint einen Moment lang hochzurucken und ein Stück über das Pflaster geschoben zu werden.
    Der Mann, der Mann fliegt durch die Luft über uns hinweg und schlägt auf der anderen Seite aufs Pflaster. Sagt Clemente immer wieder.
    Er hatte einen Hut auf, sagt sie, ich habe es gesehen, er trug einen Strohhut. Wo ist der Hut jetzt. Wie heißt der Mann. Er hat nichts falsch gemacht. Wir standen quer auf der Straße. Er war sofort tot, sagt Clemente. Es war so. Wir konnten es sehen. Wir saßen im Auto, jeder auf seinem Platz, dann machten wir die Türen auf und stiegen aus und standen auf der Straße neben dem Auto, und wir sahen den Mann, wie heißt er, auf dem Pflaster liegen. Und ich schwöre, jeder von uns beiden wusste in diesem Moment, dass er tot war. Gerade eben hatte er noch gelebt, jetzt, dreißig Sekunden später, war er tot. Nicht, weil er sich nicht bewegte, und nicht, weil es unbequem aussah, wie er dalag, aber wir spürten, dass etwas passiert war, das nicht widerrufbar war. Ich sah Walters Gesicht an, neben mir, ich sah sein Gesicht an, damit ich nicht mehr die Straße ansehen musste und den Mann, der dort lag und von dem wir nicht wussten, wie er hieß. Walter bewegte die Hand und wischte einen Faden Blut fort, der aus seiner Augenbraue gelaufen kam.
    29. Juni
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