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Bugatti taucht auf

Bugatti taucht auf

Titel: Bugatti taucht auf
Autoren: D Loher
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Erfindungen. Ein paar Autos hat er nach Italien gerettet, Motorenteile im Elsass zurückgelassen, sie im Molsheimer Garten vergraben. Wie wichtig ihm diese Dinge sind.
    Ich beneide ihn um seine
[unleserlich, evtl. Haftung oder Haltung]
in der Wirklichkeit.
    [3 Worte durchgestrichen]
    Tue ich das?
    Ende November 1914
    Ich kann nicht in Mailand bleiben. Es ist alles kindlich und Vergangenheit. Ich will wieder nach Paris, ein Atelier finden, untertauchen, arbeiten, alleine sein.
    Ettore sagt, er kommt nach. Er wird mit Barbara und den Kindern in ein Hotel ziehen, das sei praktischer, und er will für die französische Regierung arbeiten (Motoren für Kriegsflieger, soweit ich es verstanden habe). Es gelingt mir nicht, ihm zu widersprechen.
    Ich versuche, von den Verwundeten zu sprechen, versuche, von den Verwundeten zu sprechen.
    April 1915
    Ich musste sie mit meinen Händen spüren, das Fell, die Federn, die Schnauze, den Schnabel, die Krallen, die Hufe, ich musste sie nachformen und beeilte mich, sie lange anzusehen. Stunden. Tage. Jede Linie. Jetzt bin ich weit fort.
    Ich wäre gern ein anderer gewesen, einer, für den nicht das Leben voller Tücken und jeder Tag voller Hindernisse ist.
    Mai 1915
    … dass alles immer weitergeht, Frühling nach Winter nach Sommer nach Frühling undsofort, endlos, das hat mich erschreckt, solange ich denken kann. Für manche Menschen mag diese Routine des Wiederkehrenden tröstlich sein, für mich ist sie der Beweis, dass es kein Entkommen gibt.
    September 1915
    Heute Vormittag habe ich in der Kirche Sainte Madeleine zufällig Minerva getroffen. (Die Minerva aus Mailand, die ich seit Jahren, ca. zwölf, nicht mehr gesehen habe.) Hätte sie nicht erkannt, sie sprach mich an, sie hat erst vor kurzem einen Artikel über meine Arbeit (Ausstellung bei Hébrard) gelesen und freute sich, mich wiedergefunden zu haben. (Das sagte sie, wiedergefunden – »retrouvé«.)
    Ihre Eltern sind schon vor dem Krieg nach Paris gezogen. Der Vater arbeitet bei einer Privatbank, Minerva hat mir alles erzählt, ich habe keinen Sinn für die Details dieser Geldgeschäfte, aber Minerva ist an allem interessiert, auch an der Börse. Sie ist wie früher, nur größer. Mir kommt es tatsächlich so vor, als sei sie um ungefähr 10-15 cm gewachsen. (Sie trug lange Hosen, die die Schuhe verdeckten.) Sie war so groß wie ich, aber beinahe größer. Es war seltsam. Ich fragte sie nach einer Weile, ob ihr das auffalle. Sie lächelte und gab zu, eine Gliederverlängerung gemacht zu haben. Die Beinknochen werden durchtrennt, zwischen Metallschienen gespannt und mittels Schrauben immer mehr auseinandergezogen, man zwingt den Knochen, mitzuwachsen. Bei ihr hat es gewirkt. Ich wusste nicht, ob ich ihr glauben sollte.
    Es muss fürchterlich schmerzen, sagte ich.
    Nur wenn ich stehe oder gehe, sagte sie.
    Wir küssten uns, noch auf der Straße. Es geschah alles rasch und ohne Überlegen. Ich hätte sie am liebsten sofort mit nach Hause genommen und ausgezogen. Ich nahm sie mit nach Hause, und ich zog sie aus, nicht mal Zeit, die Vorhänge zu schließen, und sie ging mit und sie ließ sich ausziehen, und sie zog mich aus, und ich ließ mich auch ausziehen.
    Drei Tage. Ich dachte zum ersten Mal, wie es wäre, ein Kind zu haben, oder sogar viele, und noch mehr, Rausch, Familie. Ein Gefühl wie nie vorher. Herzhämmern, und Blut tost im ganzen Körper.
    Vielleicht kommt das Intensive, weil wir uns nicht neu sind, sondern uns von früher kennen und uns jetzt wiederentdecken (redécouvrir). Was habe ich vermisst. Das Vertraute tut so wohl, es ist wie in Honig und Ziegenmilch zu baden.
    (Ich habe keine Ahnung, wie es ist, habe ich noch nie gemacht, aber ich werde es herausfinden.)
    Der Himmel ist hoch und ich kann durch ihn hindurchfliegen.
    Oktober 1915
    Minerva sagte, ich solle mit zu ihr nach Hause. Ihre Familie ist sehr reich. Ich wusste nicht, was ich anziehen soll. Ich musste mir Geld bei Ettore leihen, für ein Hemd. Ich wollte, dass es etwas Besonderes ist. Ich wollte es aus cremefarbener Seide. Als ich es beim Schneider anprobierte, erschien mein Gesicht im Spiegel gelb.
    Es sollte ein Abendessen im Familienkreis sein, wie man so sagt. Minervas Bruder Roberto hatte seine Verlobte eingeladen, ich habe ihren Namen vergessen, sie sind schon seit drei Jahren verlobt, oder vier oder fünf, seit sehr vielen Jahren sind sie verlobt, und bald wollen sie heiraten. Clarice, die jüngere Schwester, hatte einen Freund mitgebracht, den
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