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Bugatti taucht auf

Bugatti taucht auf

Titel: Bugatti taucht auf
Autoren: D Loher
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Bajonette), Granatsplitter.
    Es soll Tränengas geben.
    Gas, ich werde den Leutnant P. fragen, wie sie das einsetzen und wie es wirkt.
    Ich sehe, dass sie Mund und Mund öffnen und öffnen, rechts höre ich kaum etwas wegen der lymphatischen Inflammation, gewöhne mir an, den Kopf auf die linke Seite zu drehen, egal wer mit mir spricht oder an wem ich vorbeigehe, Hugues sagt zu mir, ich sehe argwöhnisch aus, ich erkläre es ihm oder versuche es, die Seite, die ich scheinbar abwende, wende ich in Wirklichkeit zu, ich verdrehe mich im Gehen, verkrümme mich, da kommt der seltsame Vogel in Schwarz, sagen sie hinter mir, immer in Schwarz, oder neben mir, aber ich höre es nur, wenn ich zufällig auf der richtigen Seite aufmerksam bin.
    Sollen sie froh sein, das Weiß der Sanitäter – jetzt auch unseres – ist erschreckend, jeden Fleck, jede Farbe macht es sichtbar, wie Malerkittel sehen sie aus, die Farben nicht von der Palette, sie kommen aus den Körpern.
    Da ist ein Junge, dem sie die Nase weggeschossen haben, ein Gazestreifen wird über die Öffnung gelegt und beidseits auf den Wangen festgeklebt, solange die Wunde nicht verheilt ist und sich infizieren könnte. Ich frage mich, wie sie je verheilen soll, das Loch wird bleiben, er wird Luft nie mehr filtern können. Frage, ist das überlebensnotwendig; Antwort, vermutlich nicht. Im Ärztezimmer im ersten Stock das Handbuch der Kriegschirurgie, ich stecke es ein, nehme es mit nach Hause; am andern Morgen bringe ich es zurück; was, wenn der Arzt nachschlagen muss?
    Hugues sagt, sie geben Laute von sich, unentwegt, Schreie nicht, das Morphium wirkt, solange wir haben, geben wir, aber ein Stöhnen, zu leise für mein Gehör, die Last will wegge
[unleserlich, evtl. furzt]
werden.
    September 1914
    Manchmal wache ich in der Nacht auf und weiß nicht, wo ich bin. Manchmal träume ich und weiß im Traum nicht, wo ich bin. Manchmal wache ich im Traum auf und weiß, es ist ein Traum, aber ich weiß nicht, wer ich bin. Ich brauche verschieden lange, um meine Verwirrung verstreichen zu lassen, ohne dass ich panisch werde; ich habe versucht, mir anzutrainieren, nicht panisch zu werden. Ich versuche, mein Denken zu verlangsamen und ganz sachte zur Lösung der einen, einzigen Frage zu bewegen: wer bin ich und wo? Meistens gelingt mir das in einem akzeptablen Zeitrahmen, sagen wir, innerhalb einer halben Stunde. Wahrscheinlich sind es in Wirklichkeit nur wenige Minuten. Kompliziert wird das alles nur dann, wenn ich zufällig auf die Uhr sehe, und sie zeigt eine Uhrzeit an, die nicht stimmt, die ich aber zufällig für richtig halte. Beispielsweise, ich weiß, wer ich bin, aber nicht wo, und da ich weiß, wer ich bin, ist mir bewusst, dass ich um 15.00 Uhr am Bahnhof sein müsste. Die Uhr zeigt 15.00 oder ich lese die Uhr so, als würde sie 15.00 zeigen, in Wirklichkeit, wie sich später herausstellen wird, nachdem ich überstürzt aus der Wohnung und auf die Straße gelaufen bin, ist es erst 9.00 Uhr morgens, und deshalb trage ich einen Schlafanzug.
    Diese Dinge gehören schließlich zu einem normalen Leben; es wäre unwahrscheinlich, dass ein Gehirn jederzeit Träumen und Wachen, Wunsch und Erfahrung voneinander unterscheiden kann. Dennoch wünsche ich mir sehr, ich hätte eine klarere Form, was mich und meinen Aufenthaltsort betrifft. Ich wünsche mir, mich besser wiederzuerkennen, jederzeit. Zu wissen, wo ich bin und warum. Weil mir dies nicht gelingen kann, würde ich mich am liebsten in einen Olivenbaum verwandeln.
    Elise hat sich mit diesem Engländer verlobt, Mr. Poxx, und letzte Woche bekam Walter als Einziger, aber stellvertretend für uns alle, die Heiratsanzeige. Sie wohnen jetzt in London und auf dem Land in Berkhamsted, und das Wetter ist für diesen Herbst ausgezeichnet. Mr. Poxx arbeitet bei einer Bank, und Elise wird einstweilen keiner Tätigkeit nachgehen, die sie außer Haus führen würde. Der Garten scheint groß zu sein. Nichts vom Krieg.
    Oktober 1914
    Der Botschafter Crozier drängt mich, fortzugehen mit ihm. Ich muss wohl. Die dt. Truppen werden jeden Tag in der Stadt erwartet. (Crozier wird nach Paris gehen, ins Außenministerium.)
    Ettore schreibt mir, er hat seine Familie schon nach Mailand gebracht, ich soll sie dort treffen. Ob seine Fabrik stehen bleibt. Oberstes Ziel der Franzosen: Elsass zurückerobern.
    Mitte November 1914
    Drei Wochen in Mailand, schon werde ich unruhig. Ettore treibt die Sorge um die Fabrik, er denkt nur an die Arbeit, die
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