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Bugatti taucht auf

Bugatti taucht auf

Titel: Bugatti taucht auf
Autoren: D Loher
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Wasser)
    Mein Leben ist nicht in Unordnung geraten. Es ist im Zerfallen.
    Es ist, als ob ich mich auflöste. Die Ränder meines Ichs sind verschwommen und weit weg; ich kann mich nicht mehr erkennen, nicht wiederfinden, es überrascht mich, dass andere in mir eine Person erkennen, die handelt, eine Meinung hat und zum Arzt geht.
    Ich existiere nur noch, wenn ich in die Kirche gehe und bete.
    Dass ich dazu die Kraft finde, erstaunt mich selbst.
    Dass ich dies niederschreiben kann, erstaunt mich noch mehr.
    Und eines kann ich noch: meinen Tod
[fehlt Rest]
    Mitte Dezember 1915
    Am 16. Okt. dreißig. Dreißig Jahre, mir scheint, das reicht. Ettore hat mir erzählt, er hat Autoteile vergraben, in Molsheim, bevor er und Barbara und die Kinder nach Milano geflohen sind, Motorenteile oder Teile, die die Motoren schneller oder stärker oder beides machen. Ich wünschte, ich könnte auch etwas vergraben, etwas von mir, etwas, das mir nach dem Krieg helfen wird, dieses Nach-dem-Krieg zu überleben. Aber was. Ich habe nichts. Oder soll ich für meine Werkzeuge im Keller ein Loch schaufeln, für Spachtel und Eisen, soll ich meine Figuren hineinlegen, Lehm zu Lehm, die Bronzen verscharren? Es ist so nutzlos, hier zu bleiben. Ich denke an Elise und Minerva. Und verstehe sie beide. Was kann eine mit mir anfangen. Es ist nicht schlimm. Es geht nur nicht weiter.
    2. Januar 1916
    1) Kleider waschen und plätten lassen, Wohnung incl. Fensterputzen
    2) Brief an meine Mutter
    3) Brief an Ettore
    4) Brief an den Polizeichef
    5) Messe
    6) Veilchenstrauß
    7) Toilette
    Ich habe mich entschieden. Es muss ein Samstag sein. Ein Samstag, wegen des darauffolgenden Sonntags und der relativen Wahrscheinlichkeit, am Vormittag nicht aufgesucht und auch später nicht gestört zu werden.
    Die Briefe werde ich an den Tagen davor geschrieben haben, ich werde Lumpen aus dem Atelier mit nach Hause genommen haben. Ich werde aufstehen, frühstücken und mein Bett machen, incl. des rotseidenen Überwurfs, den ich so selten benutze. Ich werde die Frühmesse in der Madeleine besuchen, es wird kalt sein, ich werde meinen Mantel vermissen.
    Die Blumenfrau, Thérèse, wird wie jeden Tag auf den Kirchenstufen ihre kleinen Sträuße feilbieten. Ich werde Veilchen kaufen. Die Blumenfrau wird etwas sagen, ihre Lippen bewegen sich. Ich verstehe nichts, gar nichts. Ich nicke ihr zu und versuche zu lächeln.
    Die Stiefel werde ich polieren, bevor ich in den Wintermorgen hinaus und zur Messe gehe, danach erst recht. Ich werde die Gamaschen links von der Tür auf eine Zeitungsseite stellen, die die Nässe aufsaugen wird, und statt der Stiefel die schwarzen Halbschuhe anziehen.
    Es soll alles einfach sein. (Niemand soll verletzt werden.)
    Zu Hause werde ich die Veilchen in die Mitte des Tisches stellen; daneben lege ich die drei Briefe, ich werde sie mit einem weißen Stein beschweren.
    Ich werde mich sorgfältig waschen, die Haare kämmen, die weiße Wäsche anziehen, das beste Hemd und den schwarzen Anzug, der mir der liebste ist.
    Das Kreuz der Ehrenlegion werde ich auch auf den Tisch legen.
    Die Lumpen aus dem Atelier werde ich der Länge nach zusammenfalten, ich klemme sie in den Spalt zwischen Wohnungstür und Fußboden, und dichte ebenso die drei Fenster ab.
    Dann drehe ich die Gasschalter des Herdes auf bis zum Anschlag.
    Ich werde mich aufs Bett legen, auf den Rücken, ich werde die Hände über dem Leib aufeinanderlegen. Ich weiß nicht, ob ich ruhig liegen bleiben werde.

II.
Der Mord

I
    Luca und Angelo nahmen den Bus, der um 19.23 von Gordemo nach Locarno fuhr, unterwegs stieg Gianni zu. Es war Freitag, der 1. Februar 2008 und die Nacht der Stranociada, des Karnevals. Gianni hatte sein Gesicht geschminkt à la Jack la Zucca, seine Haare waren pinkfarben, und er achtete darauf, dass sie unter der schwarz-weiß-gestreiften Wollmütze in dicken Büscheln hervorlugten, eine Strähne hatte er so nach vorne gekämmt, dass sie ihm ständig ins Gesicht fallen musste. Auch seine Fingernägel waren pink, die von Luca aber lila; sie hielten sie vergleichend nebeneinander, Gianni schnalzte mit der Zunge, Luca lachte.
    Alle drei trugen schwarze Jeans und schwarz-weiß-gestreifte T-Shirts, Angelo hatte sich dazu in eine silberne taillierte Jacke gezwängt und einen schwarzen Umhang um die Schultern geworfen, der bis zu den Oberschenkeln reichte und ihm etwas Vogelhaftes gab; er hatte halblange schwarze Haare, und sein Gesicht war weiß geschminkt.
    Luca hatte sich eine
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