Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzte Ausfahrt Neckartal

Letzte Ausfahrt Neckartal

Titel: Letzte Ausfahrt Neckartal
Autoren: Thilo Scheurer
Vom Netzwerk:
Prolog
    Die Luft stank nach verbranntem Fleisch und verkohltem Holz. Das Vieh in den Ställen brüllte erbärmlich. Die Flammen fraßen sich unaufhörlich weiter und sprangen von einem Haus zum anderen, als ob die Gebäude nur aus Papier bestünden. Es regnete, und im allgegenwärtigen Schlamm hinterließen die schweren Stiefel der Männer in ihren Tarnuniformen tiefe Abdrücke. Nur ein altes Ehepaar und zwei Frauen hatten sie im Dorf gefunden und auf dem Platz vor dem Gemeindehaus zusammengetrieben.
    »Warum seid ihr noch hier? Das ist serbisches Gebiet.« Die Stimme des schmächtigen Milizkommandeurs hatte einen unmännlichen, leiernden Klang.
    Ängstliche Blicke huschten hin und her.
    »Ihr gehört doch alle zur UÇK .« Er ließ seine Worte eine Weile wirken. »Aber wenn ihr mir sagt, welches das Haus von Sulejman Thaçi ist«, sein Tonfall klang jetzt versöhnlicher, »dann könnt ihr gehen.«
    Die Köpfe der Angesprochenen neigten sich zu Boden.
    »Verdammtes Albaner-Pack. Redet!« Er lud seine Maschinenpistole durch und richtete sie auf die Gruppe.
    Zitternd deuteten zwei der Frauen auf ein Haus am anderen Ende des Platzes.
    Mit einer knappen Kopfbewegung schickte der Kommandeur einen seiner Männer auf den Weg. Das Gebäude gehörte zu den wenigen, die nicht brannten.
    Der Kommandeur senkte die Waffe und musterte die Gefangenen. »Ihr liefert jetzt alles bei mir ab, was ihr in den Taschen habt. Und dann – haut ab!«
    Die vier sahen sich an. Hoffnung glomm in ihren Augen auf. Der ältere Mann trat vor und reichte dem Kommandeur eine abgegriffene weinrote Brieftasche, die mit einem gelben Stoffband zusammengehalten wurde.
    Statt das Ledermäppchen entgegenzunehmen, tauchte der Kommandeur seine Finger in einen kleinen Beutel an seinem Gürtel. Als er sie wieder herauszog, haftete weißes Pulver an seinen Fingerspitzen. Er rieb sich so lange die Hände, bis das Pulver gleichmäßig auf beiden Handflächen verteilt war. Erst dann entriss er dem Mann die Brieftasche und zog das Band ab. Er durchwühlte kurz den Inhalt. »Was soll ich damit? Da sind nur Briefe drin.« Missmutig warf er das Ledermäppchen in den Schlamm.
    Mit ausdruckloser Miene blickte der alte Mann den Kommandeur an. Schließlich kniete er nieder, um die Brieftasche aufzuheben. Doch bevor er sich wieder aufrichten konnte, schlug ihm der Kommandeur den Schaft seiner Maschinenpistole in den Rücken. Der Mann klappte zusammen und fiel vornüber. Stöhnend blieb er liegen.
    Unbeeindruckt winkte der Kommandeur die anderen zu sich. Nur zaghaft kamen sie näher. Seine Ausbeute bestand aus zwei goldenen Ringen und einer silbernen Halskette. Er ließ den Schmuck in der Hosentasche verschwinden und richtete seine grauen Augen auf die Gefangenen. »Verflucht noch mal, haut endlich ab, bevor ich es mir anders überlege. Und nehmt den alten Sack mit.«
    Mit einiger Mühe konnten die drei Frauen den Mann aufrichten. Stockend setzten sie sich in Bewegung.
    Jeder Schritt, den die vier zurücklegten, schien eine Ewigkeit zu dauern. Doch die Angst um ihr Leben trieb sie weiter, immer weiter. Vielleicht würden sie den Waldrand erreichen. Die Hoffnung spornte sie an, und bald nahm das berauschende Gefühl des Triumphs von ihnen Besitz.
    In dem Augenblick, als sie die Maschinenpistole hörten, fanden die Geschosse schon ihr Ziel. Die vier stürzten, fielen übereinander. Auf dem schlammigen Boden zuckten die Körper im Kugelhagel, bis sich kein Schuss mehr im Magazin des Kommandeurs befand. Das ohrenbetäubende Hämmern der Waffe erstarb. Zu diesem Zeitpunkt waren die Frauen bereits tot. Der alte Mann jedoch lebte noch fast zwei Stunden unter den drei Leichen weiter. Dann starb auch er. Und in seiner Hand hielt er fest umklammert die weinrote Brieftasche.

1
    Mittwoch, 5.   April
    Trotz seiner jungen Jahre war sich Marek Kowalski bewusst, dass er zu den Besten der Welt gehörte – zur Crème de la Crème, zur Elite. Allerdings nicht in einer Sportart. Er verabscheute körperliche Betätigungen, obwohl seine hoch aufgeschossene Statur dafür die besten Voraussetzungen bot. Er hasste den Schweiß, die Anstrengung, den Vergleich von Kraft und Schnelligkeit. Diese niederen Konkurrenzkämpfe passten eher zu gewöhnlichen Menschen, die den ganzen Tag damit beschäftigt waren, nicht so gut zu sein wie er.
    Seine Disziplin lautete Perl , genauer gesagt die Skriptsprache Perl , mit der er jede noch so schwierige Aufgabe innerhalb kürzester Zeit lösen konnte. Meist musste
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher