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Dezemberglut

Dezemberglut

Titel: Dezemberglut
Autoren: Linda K. Heyden
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Erinnerungen
     
    Stunden, Tage oder Wochen krochen dahin. Wenn ich es schaffte , aufzustehen und einen Fuß vor den anderen zu setzen, ging ich wie auf Eis. Anfangs hielt es stand, aber wenn die Erinn e rungen kamen, wenn ich versuchte , zu verstehen, Antworten auf das Schreckliche zu finden, brach ich wieder ein. Dann lag ich still und hielt die Augen geschlossen. Vielleicht, wenn ich ruhig blieb und bewegung s los, nichts dachte, mich weigerte, die Zeit mit Erinnerungen zu füllen, würden sie mich nicht finden. Aber sie fa n den mich.
    Immer.
    In diesen Erinnerungen war ich wieder in der Gewalt von Gregor.
    Gregor hatte Augen, die die Nacht durchschnitten, meinen Verstand und meine Seele. Er war der Anführer einer Gruppe von Vampiren, denen ich in die Hände gefallen war.
    Vampire. M itten in Berlin.
    Sie waren furchterregend. Wie Tiere in einem Käfig, die sich gegenseitig b e kämpften. Immer durstig nach Blut . Und Gregor war der Schlimmste von allen. Sein Wesen überschwemmte mich bei jeder Berührung, floss in mich hinein, füllte mich aus, als würde ich ertrinken in Grausamkeit und Gier.
    Gregors Zähne schlugen sich in meinen Hals. Ich fühlte mich von seiner Bösa r tigkeit vergiftet, als wäre er immerwährend bei mir, auch wenn ich allein auf me i ner Matratze lag und an die Decke starrte. Eine unsichtbare Kraft hielt mich dort fest. Bewegungslos. Wie eine Marionette, deren Fäden durchgeschnitten waren.
    Ich war so schmutzig. Von außen und innen.
    Meine Welt war klein und entsetzlich. Sie hörte neben meiner Matratze auf. D ie schmale, verdreckte Tür am Ende des Zimmers führte irgendwohin, hinaus und weg von hier. Sie war u nerreichbar. Ich starrte auf die rissige Decke mit dem Wa s serschaden, bis es völlig dunkel war, und versuchte mir vorzustellen, ich sei ganz woanders. Als könnte ich nicht spüren, nicht hören, was um mich herum geschah.
    Längst hatte ich aufgehört zu flehen, zu bitten, und meine Tränen waren ve r siegt. Aus schreiendem Entsetzen war stumme Verzweiflung geworden.
    Endlich, als ich mich ergab, nichts mehr fühlte und meinen Körper aufgab, konnte ich mich an einen Platz in meinem Innersten zurückziehen, an dem mir niemand etwas zu Leide tat. Wo ich Erleichterung fand und Frieden.
    Doch dort konnte ich niemals bleiben , und ich erwachte erneut in diesem Al b traum, der einfach nie enden wollte.
    Wenn Gregor mein Blut nahm, schlich Martin um uns herum. Ich wusste, dass Martin mich wollte, nicht nur mein Blut. Aber Gregor ließ es nicht zu, er behielt mich für sich. Nur weil Martin mich begehrte. Manchmal stellte Gregor ihm in Aussicht, mein Blut und meinen Körper nehmen zu dürfen, um seine Erlaubnis doch jedes Mal zurückzuziehen. Irgendwann fehlte mir die Kraft, deshalb erleic h tert zu sein.
    Martin streichelte mich verstohlen, ich spürte sein Verlangen, seinen heftigen Zorn. Er wartete, wusste, seine Zeit würde kommen.
    Ich wusste es auch.
    Gregor bevorzugte Männer. Wie Mirko, ein Name, der zu seiner schönen Sti m me passte. Denn plötzlich gab es noch einen weiteren Gefangenen im Zimmer. Er lag auf einer Matratze in meiner Nähe, ich konnte ihn hören, aber nicht sehen. Mirko war erst achtzehn. Anfangs hatten wir noch miteinander geflüstert, über unsere Chancen zu entkommen, und uns gegenseitig Mut zugesprochen. Bis Gr e gor ihn besuchte.
    Mirko bekam seine Vorlieben zu spüren.
    Ich konnte nichts tun, um ihm zu helfen. Oder um mich selbst vor dem zu schützen, was neben mir geschah. Da ich unfähig war, meinen Kopf zu bewegen, brauchte ich nicht hinzusehen. Aber es gab keine Möglichkeit, dem Flehen, Stö h nen und Mirkos verzweifelten Lauten zu entkommen. Noch lange, nachdem Gr e gor weg war, hörte ich ihn neben mir weinen und würgen. Ich weinte und würgte ebenfalls, jedenfalls die ersten Male. Bis Mirko nicht mehr auf meine vorsichtigen Fragen reagierte . Bald darauf wurde er tot hinausg e tragen. Das war das erste Mal, dass ich ihn sah.
    Trotz allem, was geschehen war, trotz allem Grauen hatte ich nie wirklich g e glaubt, mir einfach nicht vorstellen können, tatsächlich sterben zu müssen. N un fühlte ich mich, als sei ein Teil von mir mit ihm gestorben.
    Ich war wieder allein. Mit meiner Angst, meiner Todesangst. Ich glaubte, sie niemals wieder ablegen zu können. Selbst wenn ich überleben sollte – ich wusste, dass ihre Narben für immer in meiner Seele zurückblieben.
     
    Es schien jedoch zwei Arten von Vampiren zu geben, die abgrundtief
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