Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Titel: Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune
Autoren: Donna Leon
Vom Netzwerk:
schwächer werdende Sonne wärmte sein Gesicht. Er streckte der Sonne die Hände entgegen wie ein Frierender, der sie am Feuer zu wärmen versucht. Er überlegte, ob er seine Jacke ausziehen sollte, fand es aber nicht der Mühe wert, obwohl er wußte, daß ihm wärmer sein würde, wenn er das durchnäßte Zeug vom Leib hätte.
    Er wartete darauf, daß etwas geschah. Doch es geschah nicht viel. Der Mann am Boden ächzte und wand sich, aber Brunetti warf nur hin und wieder einen Blick zu ihm, und auch das nur, um sich zu vergewissern, daß die Fesseln an seinen Händen und Füßen noch fest saßen. Einmal ertappte er sich bei der Überlegung, daß er jetzt einen der herumliegenden Steine nehmen, Spadini damit den Schädel einschlagen und hinterher behaupten könnte, der Mann habe ihn angegriffen, nachdem er Bonsuan getötet habe, und sei bei dem darauffolgenden Handgemenge ums Leben gekommen. Es beunruhigte Brunetti, daß er so etwas dachte, aber noch mehr beunruhigte es ihn, als er sich klarmachte, daß er den Gedanken vor allem deshalb nicht in die Tat umsetzte, weil ihm klar war, daß die Fesselungsspuren an den Hand-und Fußgelenken des Gefangenen den wahren Hergang verraten würden.
    Langsam sank die Sonne unter das Grau der Küstenlinie und nahm die Wärme des Tages mit sich fort. Im Norden verblaßte das Licht und ließ die Zinnen und Türme jener Scheußlichkeit namens Marghera verschwinden. Brunetti vernahm Fliegengesumm. Bei genauem Hinhören stellte er fest, daß es keine Fliegen waren, sondern ein Motor, der sich mit hohem, durchdringendem Heulen schnell näherte. Ein Boot von der Questura? Vianello und der heroische Massimo? Brunetti hatte keine Ahnung, wer von seinen potentiellen Rettern es sein mochte; auch konnte es ebensogut nur ein Wassertaxi sein; oder jemand, der im eigenen Boot nach Hause eilte, nachdem der Sturm jetzt vorbei und Friede wieder eingekehrt war. Einen Augenblick stellte er sich vor, wie wohltuend es wäre, Vianellos Bärengestalt wiederzusehen, doch da fiel ihm ein, daß Vianello Bonsuans bester Freund bei der Polizei gewesen war.
    Bonsuan hatte drei Töchter. Eine war Ärztin geworden, die zweite Architektin, die dritte Juristin, und das alles vom Gehalt eines Bootsführers bei der Polizei. Und dennoch war Bonsuan immer der erste gewesen, der darauf bestand, eine Runde Kaffee oder anderes Trinkbares auszugeben; in der Questura ging das Gerücht, Bonsuan und seine Frau unterstützten eine junge Bosnierin, die mit der jüngsten Tochter Jura studiert habe und nur noch zwei Examina brauche, um fertig zu werden. Brunetti wußte nicht, ob das stimmte, und nun würde er es nie erfahren. Es spielte auch keine Rolle mehr.
    Das Geheul kam näher und verstummte, dann hörte er eine Männerstimme nach ihm rufen.

26
    B runetti kam mühsam auf die Füße und fühlte zum ersten Mal in seinem Leben einen Warnschuß aus den Gefilden des Alters. So würde das also sein: die schmerzende Hüfte, das Ziehen in den Oberschenkelmuskeln, die Unzuverlässigkeit des Bodens unter den Füßen und die niederdrückende Erkenntnis, daß alles einfach nicht der Mühe wert war. Er machte sich auf in Richtung Strand, ungefähr dahin, von wo die Stimme nach ihm gerufen hatte. Einmal stolperte er, als sein rechter Fuß sich m einem Stück Seetang verfing, und einmal fuhr er erschrocken zurück, als ein Vogel unmittelbar vor seinen Füßen aufflog, zweifellos um ihn von seinem Nest wegzulocken und seine Jungen zu schützen.
    Seine Jungen zu schützen, seine Jungen zu schützen -und wer schützte jetzt Bonsuans Töchter, auch wenn sie nicht mehr so jung waren? Er hörte etwas aus der entgegengesetzten Richtung und sah auf, weil er hoffte, es wäre Vianello - doch statt dessen sah er Signorina Elettra. Oder jedenfalls sah er eine durchnäßte junge Frau, die ziemlich große Ähnlichkeit mit Signorina Elettra hatte. An ihrer Jacke fehlte ein Ärmel, und durch einen langen Riß in ihrem Hosenbein konnte er ihre Wade sehen. Ihr einer Fuß war nackt, ein blutiger Kratzer zog sich über den Spann. Am meisten aber überraschte ihn ihr Haar, denn es war über dem rechten Ohr kaum noch ein paar Zentimeter lang und stand ihr vom Kopf ab wie die Haarbüschel an den Ohren junger Jaguare.
    »Alles in Ordnung?« rief er zu ihr hinüber.
    Sie hob die Hand. »Kommen Sie mit, kommen Sie, ihn suchen. Bitte.« Sie wartete nicht auf seine Antwort, sondern machte kehrt und entfernte sich in die Richtung, aus der sie gekommen sein mußte. Er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher