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Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Titel: Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune
Autoren: Donna Leon
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abhanden gekommen war. Seine Arme trieben kraftlos neben seinem Körper, er merkte, daß er nicht mit den Beinen stoßen konnte und überhaupt nicht die Kraft für irgend etwas anderes hatte, als sich hinter dieser Hand, die an ihm zog, im Wasser treiben zu lassen. Irgend etwas stieß gegen seine Füße, und das ärgerte ihn nur ein bißchen. Die Schwerelosigkeit war eine Wohltat, denn sie nahm ihm den Schmerz in der Seite. Er wollte nicht schwimmen oder aufstehen müssen, wenn das Schweben im Wasser so viel leichter war, so viel schmerzloser.
    Aber die Hand zog an ihm, und es stand nicht in seiner Macht, sich ihr zu widersetzen. Als seine Füße einmal ganz kurz den Boden berührten, verstand der Schmerz das als eine Einladung zurückzukehren. Stechend und schneidend nahm er seine ganze Körperseite ein, bis Carlo sich krümmte, seine Füße wieder frei schwebten und sein Gesicht ins Wasser tauchte. Unnachsichtig griff die Hand wieder in sein Haar und riß ihn schräg nach vorn, fort von der angenehmen Geborgenheit des tiefen Wassers und der Be-quemlichkeit und wohltuenden Schwerelosigkeit, die es bot. Er ließ es geschehen, daß er noch einen Meter und noch einen Meter durchs Wasser gezogen wurde, aber ganz plötzlich konnte er nicht mehr. Ganz ruhig und nach seinem Verständnis auch vernünftig griff er mit der rechten Hand nach den Fingern, die noch immer an ihm zogen, tätschelte sie ein paarmal und sagte dann so klar und ruhig, wie er konnte: »Danke, aber das ist jetzt genug.« Seine Worte blieben ungehört, und eine riesige Welle spülte über ihn hinweg.

25
    B runetti lag auf dem Sand wie ein gestrandeter Wal, zu keiner Bewegung mehr fähig. Er hatte Unmengen Wasser geschluckt, und das Aushusten hatte ihn völlig erschöpft. Er lag im Regen, während Wellen seine Füße flirtend umspielten, als wollten sie sagen, er solle nicht so faul da im Sand liegen und lieber ins Wasser kommen und ein paar ordentliche Züge schwimmen. Ihre Lockungen blieben unbeachtet. Hin und wieder - und ganz ohne einen bewußten Gedanken - krallte er die Finger in den Sand und schob sich ein paar Zentimeter weiter, weg von diesen frivolen Wellen.
    Seine Panik legte sich allmählich. Der Wind heulte mit unverminderter Wut, der Regen prasselte nicht weniger schwer, aber der feste Boden unter ihm, die Sicherheit des Strandes, der Sand, die Mutter Erde, sie lullten ihn in ein ruhiges Gefühl der Geborgenheit. Sein Verstand begann zu arbeiten, und er ertappte sich bei der Frage, ob sein Jackett wohl in die Reinigung mußte oder womöglich ganz ruiniert war, was ihn ärgerte, denn es war sein bestes Jackett, das er sich letztes Jahr gegönnt hatte, als er nach Mailand mußte, um endlich im Prozeß wegen eines vor zwölf Jahren begangenen Mordes auszusagen. Der Gedanke ging ihm durch den Kopf, daß dies unter den herrschenden Umständen sonderbare Gedanken waren, und als nächstes grübelte er über seine eigene Fähigkeit nach, gerade diese Gedanken son-derbar zu finden. Paola, die ihn immer der Einfalt zieh, würde stolz auf ihn sein, wenn er ihr berichtete, welch verschlungene Gedanken er zu denken vermochte, als er da ganz ruhig auf einem Strand irgendwo hinter Pellestrina lag. Über die Sache mit dem Jackett würde auch sie sich ärgern, dessen war er gewiß; sie hatte immer gesagt, es sei das schönste, das er habe.
    Er lag bäuchlings im Regen und dachte an seine Frau, und nach einer Weile brachte ihn dieser Gedanke dazu, ein Knie unter sich zu ziehen, dann das andere, und schließlich half er ihm sogar, ganz aufzustehen. Er blickte sich um, sah aber nichts. Wind und Regen betäubten noch immer sein Gehör. Er wandte sich in die Richtung, aus der er nach seiner Ansicht gekommen sein mußte, und suchte, ob irgend etwas von dem Boot oder dem einen Scheinwerfer zu sehen war, der noch gebrannt hatte, als er ins Wasser sprang, aber überall war nur Dunkelheit.
    Er legte den Kopf in den Nacken und brüllte in das Unwetter hinein: »Bonsuan, Bonsuan!« Als nur der Wind antwortete, rief er: »Danilo, Danilo!« Aber noch immer vernahm er nichts. Er ging ein paar Schritte, die Hände vor sich ausgestreckt wie ein Blinder und immer wieder rufend. Auf einmal stieß er mit der Hand gegen etwas: eine harte Fläche, die sich senkrecht vor ihm erhob. Es mußte die Mauer der ehemaligen Festung Caroman sein, die er nur als ein Symbol und einen Namen auf der Landkarte kannte.
    Er ging noch näher heran, bis er mit der Brust die Mauer berührte, und
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