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Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Titel: Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune
Autoren: Donna Leon
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Bonsuan. Er ging wieder hinaus und dahin zurück, wo er angefangen hatte, ohne etwas zu sehen. Noch weiter links fand er einen weiteren Durchgang, der ebenfalls abwärts führte.
    Am Eingang rief er den Namen des Bootsführers. Zur Antwort erhielt er ein Geräusch, vielleicht eine Stimme, und er ging die Stufen hinunter. Unten saß, von dem die Stufen herabfließenden Sonnenlicht beschienen, Bonsuan mit dem Rücken an der Mauer, den Kopf im Nacken. Als Brunetti sich ihm näherte, sah er, wie blaß der Mann war, aber immerhin blutete die Kopfwunde nicht mehr. Bonsuan hatte ebenso wie er seine Schwimmweste abgelegt.
    »Na, Bonsuan«, sagte er in einem Ton, der herzlich und souverän klingen sollte. »Nichts wie raus hier und zurück nach Pellestrina.«
    Bonsuan lächelte zustimmend und versuchte aufzustehen. Brunetti half ihm, und sowie er aufrecht stand, wirkte der Mann auch wieder einigermaßen sicher auf den Beinen.
    »Wie geht's denn?« fragte Brunetti.
    »Hab schreckliches Kopfweh«, antwortete Bonsuan lächelnd, »aber das beweist wenigstens, daß der Kopf noch da ist.« Er befreite sich von Brunettis Arm und ging die Stufen hinauf. Oben angekommen, drehte er sich um und rief nach unten: »Mein Gott, war das ein Sturm. So was hatten wir seit 1927 nicht mehr!«
    Da der Schatten, den Bonsuans Körper warf, auf die Treppe fiel, hielt Brunetti den Blick auf die Stufen gesenkt, um zu sehen, wohin er seine Füße setzte. Als er ihn dann wieder hob, sah er, daß Bonsuan ein Ast gesprossen war. Noch ehe er sich klargemacht hatte, wie unmöglich das war, sprang ihn die Panik wieder an, die er während des Sturms gefühlt hatte. An Menschen wachsen keine Äste; es sprießt kein Holz aus der Brust eines Mannes. Höchstens wenn es von der anderen Seite hineingestoßen wurde.
    Noch während sein Kopf das zu verarbeiten versuchte, setzte sein Körper sich schon in Bewegung und schaltete alles Nachdenken aus, das Fragen nach Ursache und Wirkung, die Fähigkeit, Schlüsse zu ziehen, alles eben, wodurch sich angeblich das Menschsein definiert. Es war sein Körper, der die Stufen hinaufsprang, den Mund öffnete und einen Schrei zähnefletschender Angriffslust ausstieß. Bon-suan drehte sich ganz langsam um, wie ein Bräutigam, der die Braut küssen will, und fiel Brunetti entgegen, der keine Chance hatte, das Gewicht dieses Körpers, der sich im Fallen weiter drehte, aufzufangen. Das Stück Holz, das aus seiner Brust ragte und entweder ein abgebrochenes Ruder oder ein spitz zulaufender Ast war, streifte Brunettis Beine, verfing sich in der Wolle seiner Hose und hinterließ einen roten Striemen an seinen Oberschenkeln.
    Derselbe Instinkt, der Brunetti schon gesagt hatte, daß Bonsuan nicht mehr zu helfen war, jagte ihn jetzt die Treppe hinauf ins schwindende Licht eines friedvollen Frühlingsabends. Und da stand er vor einem kleingewachsenen Mann, der einen Brustkasten wie ein Faß hatte -es war einer der beiden Männer, die er in Signora Follinis Laden gesehen hatte. Der Mann hielt die Hände rechts und links vor den Körper gestreckt wie ein Ringer vor dem Angriff. Zuerst hatte ihn Brunettis Schrei verblüfft, dann sein plötzliches Erscheinen, aber jetzt hatte er sich schon wieder gefangen und kam breitbeinig, der ganze Körper eine geballte Drohung, auf Brunetti zu. Seine linke Hand schimmerte rot im Schein der untergehenden Sonne.
    Brunetti war unbewaffnet. Seit er erwachsen war, hatten Wortgewandtheit und Geistesgegenwart ihm jederzeit als Waffen genügt, und auch seitdem er Polizist war, hatte er es selten nötig gehabt, sich zu verteidigen. Aber er war in Venedig aufgewachsen, in einer armen Familie, deren Vater zu Trunk und Gewalttätigkeit neigte. Da hatte er früh gelernt, sich zu wehren, nicht nur gegen seinen Vater, sondern gegen jeden, der sich über ihn oder das Verhalten seines Vaters lustig machte. Er ließ alle Kultiviertheit fahren und trat dem Mann zwischen die Beine.
    Spadini krümmte sich und sank mit einem Aufschrei zu Boden, die Hände hilflos vor den Leib gepreßt. Da lag er nun, ächzend und klagend, vor Schmerz gelähmt. Brunetti sprang die Stufen hinunter, drehte Bonsuan, der ihn aus erstaunten Augen anblickte, behutsam auf den Rücken, schlug seine Jacke zurück und nahm das Klappmesser aus der Tasche seiner Uniformhose, wohin er es den Bootsführer hundertmal hatte stecken sehen, tausendmal, jahrelang - mehr Jahre, als Chiara alt war. Dann sprang er die Stufen wieder hinauf.
    Der Mann lag noch immer
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