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Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Titel: Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune
Autoren: Donna Leon
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auf dem Boden und ächzte und stöhnte unvermindert laut. Brunetti schaute sich um und sah eine Plastiktüte auf dem Boden; die hob er auf und schnitt sie mit Bonsuans Messer in Streifen. Er riß dem Mann die Hände vom Unterleib weg und hinter den Rücken, grob, weil er ihm weh tun wollte, und fesselte sie. Dasselbe machte er noch mit einer zweiten Tüte, und es kümmerte ihn überhaupt nicht, wie fest er die Streifen um die Handgelenke zog. Anschließend versuchte er zum Test die Arme des Mannes auseinanderzuziehen, aber die Fesseln hielten. Mit einer dritten Plastiktüte, die er ebenfalls in Streifen schnitt, fesselte er dem Mann die Füße. Ihm fiel etwas ein, was er einmal in einem Bericht von Amnesty International gelesen hatte, und er nahm einen weiteren Streifen, zog ihn zwischen den Hand- und Fußgelenken des Gefangenen durch, riß dann seine Beine nach hinten und band sie so fest. Brunetti hoffte sehr, daß diese rückwärts gekrümmte Lage noch schmerzhafter war, als sie aussah.
    Er ging, noch langsamer diesmal, wieder die Stufen hin-unter zu Bonsuan. Wohl wissend, daß man ein Mordopfer nicht anrühren sollte, bevor ein Arzt es für tot erklärt hatte, beugte er sich dennoch über den Bootsführer und drückte ihm die Augen zu, wobei er die Finger lange auf den Lidern verweilen ließ. Als er die Hände wieder hob, blieben die Augen zu. Dann durchsuchte er die Taschen von Bonsuans Jacke, danach noch die seiner blutigen Weste, und fand schließlich das telefonino.
    Er ging nach draußen zurück und wählte 112. Am anderen Ende klingelte es fünfzehnmal, bevor jemand abnahm. Zu müde, um dazu etwas zu sagen, nannte er seinen Namen und Dienstgrad und erklärte, wo er sich befand. Er schilderte kurz die Situation und bat darum, sofort ein Boot oder einen Hubschrauber zu schicken.
    »Wir sind hier die Carabinieri, Commissario«, sagte der junge Bedienstete. »Vielleicht sollten Sie sich mit Ihrem Anliegen besser an Ihren eigenen Chef -wenden.«
    Die Kälte, die bis in Brunettis Knochen vorgedrungen war, griff jetzt auf seine Stimme über. »Hören Sie, junger Mann. Es ist genau 18.37 Uhr. Wenn aus Ihrem Wachbuch nicht hervorgeht, daß Sie binnen zwei Minuten nach diesem Anruf ein Boot oder einen Hubschrauber angefordert haben, werden Sie es bereuen.« Noch während er das sagte, gingen ihm die wildesten Pläne durch den Kopf: den Namen in Erfahrung zu bringen, dann Paolas Vater zu bitten, den Chef des Mannes unter Druck zu setzen, damit er ihn entließ, und zuletzt den anderen Bootsführern zu stecken, wer sich geweigert hatte, Bonsuan zu helfen.
    Er hatte die Liste seiner Möglichkeiten noch nicht durch, als der Carabiniere »Jawohl, Commissano«
    antwortete und auflegte.
    Brunetti wählte aus dem Gedächtnis Vianellos Nummer.
    »Vianello«, meldete sich dieser nach dem dritten Klingeln.
    »Lorenzo, ich bin's«, sagte Brunetti.
    »Was ist denn los?«
    »Bonsuan ist tot. Ich bin auf Caroman, bei der Festung.« Er wartete, ob Vianello etwas sagen würde, aber der Sergente wartete stumm ab.
    »Ich habe den Täter, hier vor mir auf dem Boden.« Der Täter lag zu seinen Füßen, das Gesicht krebsrot angelaufen, weil es ihn so anstrengte, an den Fesseln zu zerren, die ihn in dieser hilflosen, schmerzhaft gekrümmten Lage festhielten. Als Brunetti auf ihn hinuntersah, öffnete der Mann den Mund, wohl um zu protestieren oder um Gnade zu bitten.
    Brunetti gab ihm einen Tritt. Er zielte nicht auf eine bestimmte Stelle, nicht auf den Kopf, nicht aufs Gesicht. Er trat einfach nach ihm und traf ihn, wie der Zufall es wollte, an der Schulter, genau am Halsansatz. Der Mann stöhnte auf und verstummte.
    Brunetti widmete seine Aufmerksamkeit wieder Vianello. »Ich habe schon angerufen, daß ein Boot oder Hubschrauber geschickt wird.«
    »Wen haben Sie angerufen?« wollte Vianello wissen.
    »Ich habe 112 gewählt.«
    »Die taugen nichts«, verfügte Vianello. »Ich rufe jetzt Massimo an und bin in einer halben Stunde draußen. Wo sind Sie genau?«
    »Bei der Festung«, antwortete Brunetti, nicht im mindesten neugierig, wer Massimo war oder was Vianello im ein-zelnen vorhatte.
    »Ich bin gleich da«, sagte Vianello und legte auf.
    Brunetti steckte das telefonino ein und vergaß es auszuschalten. Ohne den Mann am Boden auch nur noch eines Blickes zu würdigen, ging er hin und setzte sich auf einen großen Stein bei der Festungsmauer, lehnte sich mit dem Rücken an die Mauer und starrte mit leerem Blick in Richtung Westen. Die
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