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Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Titel: Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune
Autoren: Donna Leon
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Tageslicht weitgehend geschwunden war, nicht mehr so leicht hineinsehen.
    »Gib mir mal deine Taschenlampe, Massimo«, sagte Vianello zu seinem Freund. Massimo kramte aus einer der vielen Taschen seines Jägerrocks eine dünne schwarze Taschenlampe und reichte sie ihm.
    »Warten Sie hier«, sagte Brunetti zu dem Mann mit der Flinte, dann ging er mit Vianello fort. Vianello leuchtete ihnen den Weg. Auf den Stufen nach unten betete Brunetti zu einem Etwas, an das er nicht glaubte, es möge dafür sorgen, daß sie Bonsuan da unten lebend antrafen; verwundet und benommen, aber lebend. Als Kind hatte er dem, der Macht über so etwas haben mochte, immer ein Geschäft angeboten, aber diese Gewohnheit hatte er vor langer Zeit abgelegt, und so bat er jetzt nur um die Gefälligkeit, ohne eine Gegenleistung anzubieten.
    Ja, verwundet war Bonsuan, aber nicht am Leben, und nie mehr würde ihn irgend etwas erschrecken. Sein letzter irdischer Schock war dieser unvorstellbare Schmerz in seiner Brust gewesen, als er sich auf den Stufen zu Brunetti umdrehte und einen Scherz über seinen noch vorhandenen Kopf machte und die Gewalt des Sturms bestaunte.
    Vianello leuchtete nur kurz über das Gesicht des Freundes und ließ die Lampe gleich wieder sinken, bis ihr Schein jetzt auf seine Schuhe, ein Stückchen verschmutzten Erdboden und Bonsuans linke Schulter fiel, gerade so weit, um das spitze Stück Holz zu zeigen, das so grotesk aus seiner Brust hervorstand.
    Nach einer Minute ging Vianello zu den Stufen zurück, wobei er achtgab, daß er die Taschenlampe nicht wieder auf Bonsuans Gesicht richtete. Brunetti folgte ihm. Oben angekommen sahen sie, daß Vianellos Freund sich nicht vom Fleck gerührt hatte, seine Flinte auch nicht, und schon gar nicht der zu einem Bündel verschnürte Gefangene.
    »Bitte«, flehte letzterer, jetzt ohne alles Herrische, alles Drohende im Ton. »Bitte!«
    Vianello nahm ein Messer aus der Gesäßtasche seiner Jeans, klappte es auf und kniete sich neben ihn. Brunetti fragte sich halb und halb, ob der Sergente dem Mann nun die Fesseln oder die Kehle durchschneiden würde, und das eine war ihm so egal wie das andere. Gerade verschwand die Hand mit dem Messer, verdeckt von Vianellos Körper. Der Gefangene zuckte, dann streckte er die von den Handgelenken befreiten Beine aus.
    Einen Augenblick lag er reglos da und stöhnte, weil ihm jede Bewegung weh tat, aber dabei beobachtete er Vianello aus zusammengekniffenen Augen. Der Sergente klappte soeben mit der Handfläche das Taschenmesser zu und wollte es wieder in die Tasche stecken. Diesen Augenblick wählte der Gefesselte für seinen Angriff. Er zog die Knie unters Kinn, ächzend, weil es seinen überdehnten Muskeln weh tat, stieß die gefesselten Füße von sich und traf Vianello an der Hüfte, daß er hinschlug.
    Wieder zog Spadini die Füße an, um gleich noch einmal nachzusetzen, doch da erhob sich Massimo und ging, die Flinte nach unten gerichtet, zu ihm hin. Der Gefesselte spürte, daß da etwas auf ihn zukam, und streckte friedlich die Beine aus, ohne noch einmal nach Vianello zu treten, der gerade wieder auf die Füße kam. »Gut, gut«, sagte Spadini lächelnd, »ich höre ja schon auf.« Massimo drehte lässig den Flintenlauf nach oben um und ließ den Kolben auf Spadinis Nase krachen. Brunetti hörte das Nasenbein brechen - es war ein feucht klingender, knirschender Ton, wie wenn man einen Kakerlak oder Käfer tottritt.
    Spadini jaulte auf und wälzte sich, die Hände nach wie vor auf den Rücken gefesselt, auf der Flucht vor dem Mann mit der Flinte in Kreisen fort. Derweilen setzte Massimo den Gewehrkolben seelenruhig auf ein Grasbüschel zu seinen Füßen, wischte ihn ein paarmal darauf hin und her, begutachtete dann sein Werk und fand den Kolben hinreichend sauber. Ohne sich um das Schluchzen des Mannes zu kümmern, dem immer noch Blut aus der zerschmetterten Nase floß, das unter seinem Kopf im Sand versickerte, ging Massimo zu dem Stein an der Mauer zurück und setzte sich wieder.
    Er sah Brunetti an. »Ich bin nämlich mit Bonsuan immer fischen gegangen.«
    Jetzt sprach niemand mehr, bis aus Richtung Pellestrina ein Geländewagen der Carabinieri nahte. Sie kamen über den Sand angerast, ohne sich darum zu kümmern, was für Schäden sie an den Dünen anrichteten, auch ohne Rücksicht auf die nistenden Vögel, die den Rädern ihres Gefährts nicht entkamen.

27
    D ie Carabinieri, die dem Jeep entstiegen, wunderten sich kaum über das, was sie sahen,
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