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Bruder Cadfaels Buße

Bruder Cadfaels Buße

Titel: Bruder Cadfaels Buße
Autoren: Ellis Peters
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Ludlow, wo sich vor seinen Augen trostspendend Umrisse erhoben, die er kannte. Immer mehr straffte sich der Faden, der ihn heimwärts zog und zerrte qualvoll an seinem Herzen. Doch nach wie vor glaubte er nicht wirklich, daß am einzigen Ort, wo er in Frieden leben konnte, ein Platz auf ihn wartete.
    Ich habe gesündigt, sagte er sich jeden Abend, bevor er einschlief. Ich habe das Haus und den Orden verlassen, denen ich standhafte Treue gelobt hatte. Ich habe das Gebot des Abtes mißachtet, dem ich feierlich Gehorsam zugesichert hatte. Ich habe meinen eigenen Antrieben Vorrang eingeräumt vor der Pflicht, die ich bereitwillig und aus freien Stücken übernommen hatte. Es ist unerheblich, daß sie ausschließlich auf die Befreiung meines Sohnes zielten. Würde ich anders handeln, wenn ich alles noch einmal tun müßte? Nein, ich würde es wieder tun.
    Tausendmal würde ich es wieder tun. Und dennoch wäre es nach wie vor Sünde.
    Wir sind allzumal Sünder, jeder auf seine Weise. Diese Schuld zu bekennen und auf sich zu nehmen, ist gut und richtig. Vielleicht müssen wir sie auch bekennen und auf uns nehmen, ohne Scham oder Bedauern dabei zu empfinden. Sofern wir glauben, sagen zu müssen: ja, ich' würde noch einmal ebenso handeln, treffen wir eine Entscheidung, die andere verdammen mögen. Aber woher wollen wir wissen, daß Gott sie verdammt? Sein Ratschluß ist unerforschlich. Wie wird am Jüngsten Tag das Urteil über Jovetta de Montors lauten? Auch sie hatte eine Entscheidung getroffen, als sie tötete, um ihren Sohn zu rächen, weil kein Vater da war, der ihr diese Bürde abnehmen konnte. Auch sie hat die alles übersteigende Liebe des Herzens zum eigenen Kind über das Gesetz des Landes oder die Gebote der Kirche gestellt. Würde auch sie sagen: ich würde es wieder tun? Gewiß. Wenn eine Sünde so beschaffen ist, daß wir sie trotz aller Bemühung, das Rechte zu tun, nicht zu bedauern vermögen - kann sie dann wirklich Sünde sein?
    Dieser Gedankengang war ihm zu verwickelt. Abend für Abend kämpfte er damit, bis ihn der Schlaf der ErSchöpfung übermannte. Am Ende bleibt einem Menschen keine andere Möglichkeit, als deutlich zu sagen, was er getan hat, ohne sich zu schämen oder zu bedauern. Er sagt: Hier bin ich, und so bin ich. Jetzt tu mit mir, was du für richtig hältst. Es ist dein gutes Recht. Mein Recht ist es, zu meiner Tat zu stehen und den Preis dafür zu zahlen.
    Man tut, was man tun muß, und man zahlt dafür. So sind letzten Endes alle Dinge einfach.
    Am fünften Tag seiner von Bußgedanken erfüllten Reise erreichte er zu Füßen der langen Hügelketten im Südwesten der Grafschaft vertrautes Gelände, dem seine Liebe gehörte. Vielleicht hätte er noch einmal übernachten sollen, doch er brachte es angesichts der Nähe der Heimat nicht über sich, seine Reise zu unterbrechen. So ritt er auch nach Einbruch der Dunkelheit weiter. Als er Sankt Giles erreichte, hatte es schon vor einer ganzen Weile Mitternacht geschlagen. Seine Augen waren längst an die Dunkelheit gewöhnt, und so hoben sich die vertrauten Umrisse von Hospital und Kirche deutlich vor dem weiten Himmelszelt ab, das wolkenlos und frostklar war. In der ungeheuren Stille der tiefen Nacht wußte er nicht, welche Stunde es war. Die Kälte hatte sogar die Gestalten vertrieben, die sich für gewöhnlich um diese Stunde draußen herumzudrücken pflegten; auch sie dürften es sich hinter dem heimischen Ofen gemütlich gemacht haben. Cadfael hatte die ganze Länge der Abteivorstadt für sich und feierte mit jedem Schritt, den der Rotschimmel tat, ein ehrfurchtsvolles Wiedersehen.
    Ob er ein Anrecht darauf hatte, wieder aufgenommen zu werden oder nicht, auf jeden Fall mußte man ihm aus Nächstenliebe zumindest ein Obdach im Stall gewähren.
    Auch Hughs ermattetes Tier würde aus bloßer Liebe zur Kreatur eingelassen werden, bis man es zurück in die Obhut der Burg schickte. Wären die breiten Torflügel unversperrt gewesen, die sich vom Kirchhof aus zum Pferdemarkt öffneten, hätte Cadfael den Klosterbezirk auf diesem Wege betreten, denn von dort waren die Ställe ohne den Umweg über das Torhaus zu erreichen. Aber er wußte, daß sie fest verschlossen waren. Nun, das war jetzt unerheblich, er würde dankbar die ganze Länge der Umfassungsmauer abreiten, Schritt für Schritt, wie die Perlen des Rosenkranzes, von der Ecke des Pferdemarkts zum Tor. Zur Linken erhob sich innerhalb des Klosterbezirks die geliebte Kirche wie ein Quell der
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