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Bruder Cadfaels Buße

Bruder Cadfaels Buße

Titel: Bruder Cadfaels Buße
Autoren: Ellis Peters
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Geschöpf kehrte an den Ort zurück, an den es gehörte, und war dort willkommen. Cadfael wendete für die Pflege des Tieres mehr Zeit auf, als nötig gewesen wäre, und lehnte von Zeit zu Zeit den Kopf gegen dessen glänzende Schulter. Fast wäre er an Ort und Stelle eingeschlafen, aber das durfte er noch nicht zulassen.
    Zögernd löste er sich von der lebenden Wärme des Pferdeleibes und kehrte erneut in die Kälte zurück. Er überquerte den Hof und ging durch den Kreuzgang zum Eingang der Kirche.
    Wenn ihn draußen die scharfe klare Kälte des Frostes hatte zittern lassen, so herrschte im Kirchenschiff neben Dunkelheit und grenzenloser Stille die schwere feierliche Kälte des Steins - fast wie der Tod, wäre nicht der rotgoldene Schimmer des Ewigen Lichts auf dem Altar gewesen. Dahinter, im Chor, waren zwei Kerzen tief heruntergebrannt. Er stand in der Einsamkeit des Kirchenschiffs und sah sich um. Bei den nächtlichen Gebeten war es ihm stets vorgekommen, als hätte er sich in geheimnisvoller Weise erweitert, um jeden Winkel und jede Spalte des hohen Gewölbes auszufüllen, in die das Licht der Kerzen nicht drang. Es war so, als hätte die Seele den für alle Krankheiten des Menschen anfälligen Leib eines älteren, ach was, eines alten Mannes, verlassen, der sie zu sehr einengte. Nun hatte er das Recht verwirkt, die eine niedrige Stufe emporzusteigen, die zum Paradies der Mönche emporführte. Sein Platz war im Laienchor, doch das bedrückte ihn nicht. Er hatte unter den einfachsten Menschen solche kennengelernt, deren Glaube den von Erzbischöfen übertraf und die, was die Ehre betraf, Grafen von Geblüt ebenbürtig waren. Nur das Bedürfnis nach dem gemeinsamen Erlebnis der Stille und des Gebetes schmerzten ihn wie eine tödliche Verwundung.
    Dicht vor dem niedrigen Absatz zum Mönchschor streckte er sich, das Gesicht nach unten gekehrt, so auf dem Boden aus, daß sein zu langes Haar die Stufe streifte.
    Die Kälte der Bodenplatten drang ihm in die Stirn. Weit breitete er die Arme aus, und wie sich ein Ertrinkender an Gräsern festhält, die im Wasser treiben, faßte er nach den ungleichmäßigen Kanten der Bodenplatten. Wortlos betete Cadfael für alle Menschen, die gezwungen waren, einander widerstreitende Forderungen zu erfüllen oder die sich zwischen Recht und Notwendigkeit, Pflicht und Gewissen, irdischer Liebe und himmlischer Entsagung entscheiden mußten - für Jovetta de Montors und ihren Sohn, den man kaltblütig ermordet hatte, um freie Hand für einen Bubenstreich zu haben; für Robert Bossu und all jene, die sich trotz immer wiederkehrender Anfälle von Verzweiflung und Enttäuschung um Frieden bemühten; für die Jungen, denen niemand den Weg wies, wie auch für die Alten, die alles versucht und alles aufgegeben hatten: Olivier, Yves und andere wie sie, die in der kompromißlosen Reinheit ihrer Seele das vorsichtige Taktieren von Menschen verachteten und bekämpften, die weniger hohe Anforderungen an sich stellten als sie.
    Schließlich betete er für sich selbst, einst Mönch im Benediktinerkloster Sankt Peter und Paul in Shrewsbury, der getan hatte, was er tun mußte, und jetzt darauf wartete, dafür zu bezahlen.
    Obwohl er nicht schlief, erlebte seine wache und aufnahmebereite Seele etwas, das einem Traum ähnlich war.
    Es kam ihm vor, als ginge die Sonne vor ihrer Stunde auf, und er empfand Wärme wie an einem Maimorgen voller Weißdornblüten. Dann erblickte er eine junge Frau von frühlingshafter Schönheit, die mit wallendem Haar barfuß durch das Gras einer Wiese schritt und ihm zulächelte. Ohne die Absolution erhalten zu haben, konnte oder wollte er nicht an ihren Altar im Chor treten, um auf sie zuzugehen. Doch hatte er flüchtig den wunderbaren Eindruck, sie hätte sich erhoben und träte auf ihn zu.
    Gerade, als ihr weißer Fuß neben seinem Kopf auf der Stufe stand und sie sich über ihn beugte, um ihn mit ihrer weißen Hand zu berühren, ertönte im Dormitorium das Glöckchen, das die Brüder zur Prim weckte.
    Abt Radulfus, der früher aufgestanden war als gewöhnlich, trat vor den anderen Mitgliedern der Klostergemeinschaft in die Kirche. Gerade hatte eine kalte Sonne ihren blutroten Rand über den östlichen Horizont geschoben, während im Westen noch die flimmernden Umrisse der Sterne am Himmel zu sehen waren, dessen Farbe von Taubengrau am unteren Rand bis zu Blauschwarz im Zenith verlief. Er trat durch den Südeingang und sah einen Mönch, der mit ausgebreiteten Armen reglos
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