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Brennaburg

Brennaburg

Titel: Brennaburg
Autoren: Wolfgang David
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Daß jener dabei die Hoffnung hegte, die Frau allein würde die Wirtschaft nicht bewältigen, lag für Herpo auf der Hand. Ging diese Rechnung auf, würde er nach seiner Rückkehr gezwungen sein, sich dem Kloster zu ergeben. Falls er die Heimat überhaupt noch einmal wiedersah …
    Anfangs war er entschlossen gewesen, sich nicht unterkriegen zu lassen. Er hatte Vorsorge getroffen: Verwandte würden hin und wieder helfen. Doch sowie er von zu Hause fort war, brachen die ohnehin schwachen Dämme seiner Zuversicht auseinander, und ihm wurde klar, daß ihn auch das nicht retten würde.
    Maß auf Maß schüttete Herpo in sich hinein, die Flammen der Verzweiflung zu löschen, gelang ihm indes nicht. Ihm gegenüber saß ein junger Bursche, beinahe noch ein Knabe, der unaufhörlich redete, lachte, sich bewegte. Zunächst hatte ihn Herpo nicht wahrgenommen, so, wie er den ganzen Tag über kaum etwas wahrgenommen hatte. Doch als die meisten schon schweigsam wurden und sich zurücklegten, blieb der Junge weiterhin aufrecht sitzen und plauderte unentwegt mit seinem Nachbarn. Wenn Herpo aufschaute, sah er das lebhafte Mienenspiel des anderen, ein Anblick, der ihn immer stärker peinigte. Bald schien es ihm, als bestünde ein Zusammenhang zwischen seinem Unglück und dem zügellosen Frohsinn des Burschen. Das war natürlich Unsinn, doch verschaffte ihm diese Vorstellung eine merkwürdige Erleichterung.
    »Halt doch endlich deine Schnauze«, sagte er probeweise. Er wollte keinen Streit anfangen, sondern lediglich dahinterkommen, ob ihm nicht wohler wurde, wenn der Junge für einen Moment Ruhe gab. Dieser unterbrach sich kurz, so, als lausche er einem Geräusch hinterher, ohne indes sicher zu sein, es auch wirklich gehört zu haben. Danach erzählte er weiter – von der Jagd auf den Ur, an der er teilgenommen hatte.
    Herpo ließ ihn reden. Er wartete, bis er meinte, daß der andere den Zwischenfall vergessen habe. »Du sollst deine Schnauze halten«, sagte er erneut und fühlte sofort, wie gut ihm das tat. Bei Gott, da hatte er offenbar das Richtige getroffen. Es war wundervoll, sich erst zurückzuhalten und dann unverhofft zuzuschnappen.
    »Meinst du mich?«
    »Wen denn sonst, du Hammel.«
    »Du hast mir gar nichts zu sagen.«
    Das sollte gewiß forsch klingen, hörte sich aber unsicher an. Und tatsächlich verstummte der Junge hierauf.
    Herpo lauerte, doch es kam nichts mehr. Was nun? Ihn befiel Angst. In der Stille schmolz seine Hochstimmung dahin, gleich würde er wieder seiner Verzweiflung ausgeliefert sein. Er fischte einen glühenden Zapfen aus dem Feuer, warf ihn in die Richtung des Jungen, traf jedoch den Hals eines Mannes, der bereits schlief.
    Brüllend sprang dieser hoch. Jemand wies auf Herpo. Der Mann hüpfte über einige Leiber hinweg und rannte um das Feuer herum auf ihn zu.
    Herpo, schlagartig nüchtern, rührte sich nicht vom Fleck. Wieder einmal war etwas schiefgegangen, so, wie in letzter Zeit beinahe alles schiefgegangen war. Er hatte keine Prügelei gewollt, auch mit diesem Burschen nicht. Er hatte lediglich jenes Gefühl der Erleichterung ein bißchen verlängern wollen, das so unvermutet über ihn gekommen war. Statt dessen hatte er alles nur noch schlimmer gemacht. Er empfing zwei Fußtritte, die ihm die Luft nahmen. Von oben hagelte es Fausthiebe. Er wich ihnen kaum aus, sagte bloß matt: »Das reicht. Hör jetzt auf.«
    Aus dem Empfinden heraus, daß sie in der Tat quitt waren, hatte der Mann innegehalten. Die scheinbar gleichgültige Art des anderen entfachte jedoch seinen Zorn erneut. Er stieß einen Fluch aus, riß Herpos Kopf an den Haaren nach vorn, rammte ihm das Knie unters Kinn und spukte ihm mehrmals ins Gesicht.
    Herpo schloß die Augen. Über seine Wangen liefen Tränen. Es reicht, klang es in ihm, es reicht. Und ohne jedes Wutgefühl, elend wie zuvor, zog er sein Messer und trieb es dem anderen in den Bauch.
    Einige Stunden später wurde Herpo dem Grafen Siegfried vorgeführt. Flüchtig besah dieser das zerschlagene Gesicht, allerdings nur, um festzustellen, ob der Mann zu ihm gehörte. Von den aufgeplatzten Brauen bis zu den Spitzen der Barthaare zogen sich zwei Bahnen getrockneten Blutes hin. Dazwischen ein heller Streifen – der Nasenrücken. Der Mund stand offen, wohl, damit sich die zerfetzten Lippen nicht berührten.
    »Was ist mit dem anderen?« fragte Siegfried. »Lebt er noch?«
    »Schwer zu sagen«, antwortete einer von Herpos Bewachern. »Manchmal zuckt er – so!« Er machte
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