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Bratt, Berte - 01 - Das Herz auf dem rechten Fleck

Bratt, Berte - 01 - Das Herz auf dem rechten Fleck

Titel: Bratt, Berte - 01 - Das Herz auf dem rechten Fleck
Autoren: Berte Bratt
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zu bewegen.
    Den armen, alten Carlo hatte der Schlag getroffen.
    Ich rief Maro an. Der Arzt sollte so schnell wie möglich nach oben kommen. Wir wagten nicht, Carlo zu transportieren, sondern hatten nur einige Decken aus der Silberhütte geholt, damit er nicht fröre.
    „Aber ich darf nicht die Station verlassen, solange die Bahn in Betrieb ist“, sagte Maro. „Kannst nicht du mit der nächsten Kabine herunterkommen und den Arzt holen?“ Ja, das tat ich also.
    In jener Nacht setzten die Kabinen Stunde um Stunde ihre Fahrt fort, bis der Arzt zur Station Silberhütte hinaufgefahren war, Carlo ins Bett gebracht und ihm eine Spritze gegeben hatte. Lisette aus der Silberhütte saß mit feuchten Augen neben Carlo und hielt Nachtwache, bis Franzens Frau kommen würde, um sie abzulösen.
    Die silbrig schimmernden Kabinen aber fuhren unermüdlich hinauf und hinunter.
    Todmüde schleppte ich mich schließlich heim in das Chalet Cosima. In tiefer Stille lag es da. Niemand ahnte etwas von den Geschehnissen in dieser Nacht.
    Aber in dem ersten schwachen Licht der Morgendämmerung sah ich etwas auf der Straße vor mir sich bewegen, nur ein paar Meter vom Haus entfernt. Es kam näher. Etwas Kleines, Zottiges. Wahrhaftig - es war Mouche.
    „Mouche! Du kleiner Nachtschwärmer, was treibst denn du dich herum?“ sagte ich.
    Es sah aus, als hätte Mouche einen Auftrag. Sie trug etwas in der Schnauze. Nun setzte sie sich vor mich hin und wedelte stolz, wie sie es immer tat, wenn sie einem etwas „brachte“. Ich nahm ihr ab, was sie da trug - ein Stück festes Papier.
    Im Schein einer der Straßenlaternen von Villeverte konnte ich erkennen, was es war.
    Eine Ansichtskarte.
    Ein Bild des Matterhorns.

Nach Norden
    Wir entflohen.
    Wir setzten uns in den Wagen und fuhren ganz einfach davon. Jetzt mußten wir allein sein. Ohne Menschen um uns her, ohne die Filmsachen und ohne die liebe Familie. Und ohne Fremde, die mich auf der Straße anhielten und sagten: „Mein Gott, das waren ja Sie, die.“ Ja, ich war es gewesen, die sich hinuntergelassen und Hilfe geholt hatte, das stimmte; aber solch Heldenstück war das nun auch nicht; ich konnte es nicht mehr anhören! Ich errötete bis in meine Zehenspitzen hinein wegen all dieses törichten, unverdienten Lobes. Das hatte ich unseren Mitfahrern zu verdanken. Die Mutter mit dem kleinen Jungen hatte es in ganz Villeverte herumposaunt und eine Heldentat daraus gemacht.
    „Ich fange beinah an, es zu bereuen, daß ich sie nicht die ganze Nacht habe sitzen lassen!“ seufzte ich. „Jetzt wage ich mich ganz einfach nicht mehr in Geschäfte oder auf die Straße, die Leute sind ja verdreht!“
    Da waren wir ausgerückt.
    Zuerst nach Villeblanche, von dort aus in ein kleines Seitental, wo wir den Wagen stehen ließen und zu Fuß weitergingen. Im Schatten einer alten Arve setzten wir uns nieder.
    Asbjörn sah mich lange an. Sein Gesicht war bleich, und er wirkte abgehärmt. In zwei Tagen schien er um fünf Jahre älter geworden zu sein. „Ja, Bernadette - wo sollen wir anfangen?“
    „Bei meinem Wutausbruch in der Bahn“, schlug ich vor.
    „Nein, der Anfang liegt viel weiter zurück. Alles hat damit begonnen, daß ich meine Eltern verloren habe.“
    „Was hat da begonnen?“
    „Da begann ich mich für einen einzigen Menschen auf dieser Welt zu interessieren, nämlich für den Schüler Asbjörn Grather. Ich stand allein auf der Welt, und ich gewöhnte mich daran, mir meine eigenen Ziele zu setzen und meinen eigenen Plänen zu folgen, ohne mich dabei von anderen stören zu lassen. Meine Tante und mein Onkel waren bestimmt sehr nett, aber. du kennst doch meine Tante. Sie mischt sich in alles ein und gibt einem unendlich viele wohlgemeinte, aber törichte Ratschläge - da habe ich gelernt, nicht hinzuhören und meinem eigenen Weg zu folgen. Hätte ich nämlich ihre Ratschläge beherzigt, wäre niemals etwas aus mir geworden. Da hast du es, Bernadette, das ist bei mir hängengeblieben: ich stand in Opposition zu allem, was mir vorgeschlagen wurde, zu jedem gutgemeinten Rat - ich war mißtrauisch allem gegenüber, das ich nicht kannte, allem gegenüber, wozu andere Leute mich überreden wollten.
    Da bin ich dir begegnet, du mein Sonnenschein! So voll Lebensfreude, und so unsagbar voll Vertrauen; du warst ganz darauf eingestellt, selber gut zu sein, aber auch Güte von anderen zu empfangen.“
    Asbjörn machte eine Pause, biß sich auf die Lippe und fuhr dann mit sonderbarer, gepreßter Stimme
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