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Bratt, Berte - 01 - Das Herz auf dem rechten Fleck

Bratt, Berte - 01 - Das Herz auf dem rechten Fleck

Titel: Bratt, Berte - 01 - Das Herz auf dem rechten Fleck
Autoren: Berte Bratt
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fort.
    „Jetzt verstehe ich, Bernadette, was man mit dem Ausdruck ,visionäre Klarheit’ meint. Die entsetzlichen Stunden in der Kabine Nummer sechs, als ich nicht wußte, ob du noch lebtest oder tot warst
    - ich wußte nur, daß das Tau gerissen war, und zwar schon hoch oben. Ich wußte nicht, ob du einen oder zehn Meter hinabgestürzt warst. Ich saß nur da und konnte dir nicht helfen, konnte nicht das geringste für dich tun. Ich begreife nicht, daß mein Haar in diesen Stunden nicht weiß wurde. Und als sich die Kabine wieder in Bewegung setzte, als ich dich dort gesund und munter neben Maro stehen sah, Bernadette, hätte ich Gott auf den Knien danken können.
    Dort oben in der Kabine habe ich plötzlich alles verstanden. Ich habe mit deinen Augen gesehen, mit deinem Herzen gefühlt; ich sah deine frohen Augen vor mir und wußte auf einmal, wie oft ich das Licht der Freude in ihnen erstickt hatte. Kleinigkeiten, gewiß. Aber ich hatte dein Vertrauen zu mir zerstört. In der letzten Zeit hatte deine Stimme jedesmal, wenn du mich um etwas batest, einen ängstlichen, unsicheren Unterton. Früher habe ich das nicht gehört -aber als ich dort oben in der schrecklichen Kabine gefangen saß, hörte ich deine Stimme so wie damals, als du so gern auf die Chenalette wolltest oder nach Colmar. Erst hinterher ging es mir auf, was du damals gesagt hattest, ich könnte gern alles bestimmen, wenn du nur drei Stunden bekämst, du hättest den brennenden Wunsch, den Isenheimer Altar zu sehen. Aber ich habe nein gesagt - kannst du mir erklären, warum?“
    „Weil es Mühe gemacht hätte“, antwortete ich.
    „Ich pfeife auf alle diese Mühen. Ich habe mich durch ein paar lächerliche kleine Schwierigkeiten daran hindern lassen, dem Menschen, den ich liebe, einen brennenden Wunsch zu erfüllen!
    Jetzt verstehe ich dich, Bernadette, ich verstehe dich viel besser, als wenn du mir das alles vierundzwanzig Stunden lang hintereinander erklärt hättest. Denn jetzt verstehe ich dich mit dem Herzen, ohne Erklärungen.“
    „Aber Asbjörn“, sagte ich, „ich verstehe auch manches. Einmal hast du zu mir gesagt, ich müßte lernen zu verzichten. Es stimmt, daß ich das niemals gelernt habe, weil alle Menschen mich verwöhnt haben. Und ich muß es lernen. Ich muß lernen, eine abschlägige Antwort hinnehmen zu können. Aber natürlich soll sie begründet sein, sie soll einen Sinn haben! Zum Beispiel hätte ich damals deine Ablehnung hinnehmen sollen, als du allein zu den Steinböcken gehen wolltest, weil ich Mutti abholen sollte. Das war dumm von mir. Und du sollst mich auch darauf aufmerksam machen, wenn ich maule und übertrieben empfindlich bin. Und ich werde dich mit der Nase darauf stoßen, wenn du grundlos dickköpfig und skeptisch bist!“
    „Abgemacht, Bernadette! Aber sag mir eins.“ Er blickte mir ins Gesicht, und seine Augen leuchteten. Um seinen Mund lag ein kleines Lächeln. „Sag mir eins, Bernadette, wagst du es, mich trotzdem zu heiraten?“
    „Ja, Asbjörn, jetzt wage ich es!“
    An einem kühlen Tag Anfang September rollten wir in unserer Seifenblase wieder nach Norden. In unserem Gepäck hatten wir den fertigen Film von mir mit verstauchtem Fuß auf Brunos Rücken. Franz hatte sich als eine schauspielerische Naturbegabung erwiesen, Tony und Corinne hatten großartig geholfen. Zusammen mit mir waren sie als Bergwanderer aufgetreten. Corinne hatte nach allen Regeln der Kunst meinen Fuß verbunden, Tony hatte mich auf dem Rücken getragen und einen Zustand völliger Erschöpfung vorgetäuscht. Als wir dann Franz und Bruno trafen, waren wir glücklich und erlöst.
    Nun sollte also Asbjörn nach Frankfurt und ich nach Norwegen.
    „Kannst du nicht mit nach Frankfurt kommen?“ hatte Asbjörn gefragt. „Es ist so langweilig, allein zu fahren, und das Flugzeug kannst du dort ebensogut nehmen wie in Basel!“
    Selbstverständlich ließ sich das machen. Außerdem wollte ich mir gern die Wohnung ansehen, nachdem sie gestrichen und tapeziert war.
    Die Seifenblase rollte lieb und zuverlässig durch die kleinen, malerischen Städte, an den weiten Weinbergen entlang, die nun in
    goldener Pracht dalagen. Überall waren die Leute bei der Weinernte.
    Wir waren sehr früh aufgebrochen und wollten versuchen, noch am gleichen Tag zum Ziel zu kommen.
    Am frühen Nachmittag fuhren wir über die Grenze, und dann ging es nach Norden, durch Müllheim und weiter nach.
    „Nein, Asbjörn, jetzt fährst du falsch!“
    „Nein, ich fahre
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