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Brans Reise

Titel: Brans Reise
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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war viel jünger. Doch welch eine Freude, als du dann geboren wurdest!«
    Eine Weile sitzen sie stumm da. Ein schwacher Wind zieht über den Berghang nach unten und treibt den Nebel in die Bäume zurück. Der Alte genießt den Laut der raschelnden Baumkronen, und wenn er die Augen schließt, glaubt er, das Rauschen des Meeres zu hören. Die Erinnerungen bringen ihn aufs Meer zurück. Er hört das Flattern der Segel, die knirschenden Taue am Mast und das Platschen der Wellen am Schiffsrumpf. Der alte Turvi ist da. Bran steht am Ruder. Und Gwen, die vor zwei Wintern von ihm ging, lächelt mit den Haaren im Wind.
    »Erzähl weiter«, quengelt der Junge. »Erzähl weiter, Großvater Dielan! Wie geht es mit Bran und Tir weiter? Warum will Velar Häuptling sein?«
    »Ich werde es dir erzählen.« Der Alte lächelt und fährt mit seiner Hand durch die Haare des Jungen. »Es ist wichtig, dass du die Geschichte meines Bruders kennst, denn du sollst nach deinem Vater Häuptling werden. Bald bist du erwachsen, weißt du, und dann wird dein Vater ein alter Mann sein. Aber geh jetzt nach Hause, denn morgen…« Er sieht zu den Bergen im Osten hinauf, wo die Sonne über die zerklüfteten Gipfel klettert. »Heute Abend«, berichtigt er sich, »wenn du gegessen und geschlafen hast, werden wir uns wieder in der Höhle treffen. Denn Geschichten über das Vergangene gehören der Nacht, und…«
    Der Graubärtige stöhnt und greift sich an die Brust. Der Junge weiß, dass der Alte dort oft Schmerzen hat, und wartet geduldig, während sein Großvater zittert und nach Luft ringt.
    »Es ist Morgen«, seufzt der Alte schließlich. »Meine Brust vergisst nie, mich daran zu erinnern. Des Abends quält sie mich nicht, doch jetzt fällt mir das Atmen schwer.« Er schiebt die Scheide seines Schwertes nach hinten und streckt seine Beine aus. »Aber Schmerzen sind gut für einen alten Mann, sie erzählen ihm, dass er noch am Leben ist.«
    »Ich kann dir nach unten helfen.« Der Junge steht auf und reicht ihm einen Arm.
    Der Alte winkt ab und lehnt sich auf die Seite. Dann stützt er sich auf die Schenkel und kämpft sich hoch. »Diese Knie«, klagt er. »Sie schmerzen, als steckten sie voller Vandarpfeile.«
    »Vater sagt, er könne dir eine Krücke binden«, sagt der Junge lächelnd.
    »Eine Krücke!« Der Alte schnäuzt sich in den Ärmel und spuckt auf den Höhlenboden. »Das sieht ihm ähnlich. Er versteht nicht, dass es der Wille der Götter ist.« Er deutet auf die Felswand vor sich, als stünde dort etwas. »›Konvai‹, sage ich, ›du musst auf deinen Vater hören. Lausche den Liedern und Sagen. Du musst an unsere Götter glauben: Berav, Kragg und den Horngott. ‹ Aber glaubst du, er hätte mir zugehört?«
    »Ich kann es ihm doch sagen!« Der Junge hebt die ausgebrannte Birkenfackel auf und schiebt sie hinter seinen Gürtel.
    Der Graubärtige schüttelt lächelnd den Kopf. Seine Knie sind steif und schmerzen, als er auf die Treppe zugeht, die zu dem Pfad hinunterführt. Er hinkt die drei Stufen zu dem ausgetretenen Pfad hinunter, wirft seinen Pelzumhang zurück und geht dann weiter nach unten.
    Eine Weile bleibt Shian noch in der Höhle stehen, bis er von der obersten Stufe nach unten springt und dem Alten nachruft.
    »Aber warum hat der Horngott Tir nicht erzählt, was geschehen wird? Dann hätte sie es Bran sagen können, und dann…«
    Der Alte bleibt stehen und wartet auf Shian.
    »Dein Vater hat dir also diesen Teil der Geschichte erzählt?« Er bewegt seinen Kopf hin und her und fährt sich mit den Fingern über die Augenwinkel. »Ich glaube, dass sie es in dieser Nacht im Turm gefühlt hat. Ich glaube, Cernunnos hat ihr da etwas gesagt. Sie war eine kluge Frau, verstehst du, viel klüger als Bran und ich.«
    Der Junge sieht zu ihm auf. »Aber warum hat sie dann nichts gesagt?«
    Der Graubärtige lacht und legt den Arm um die Schultern des Jungen. »Das werde ich dir heute Abend erzählen. Aber komm jetzt, lass uns sehen, ob deine Mutter etwas Suppe für uns hat.«
    Der Junge tritt gegen einen kleinen Stein und geht mit dem Alten den leicht abfallenden Pfad zum Fluss hinunter. Tautropfen glitzern in den Grashalmen am Wasser. Im Tal summen bereits die ersten Bienen über die Blüten. Die zwei setzen sich ans Flussufer und ziehen sich die Schuhe aus. Der Alte schlürft ein paar Schluck kaltes Gletscherwasser, stopft sich die Schuhe hinter seinen Gürtel und beginnt, ins Wasser zu waten. Der Junge stützt ihn, denn alle wissen, dass
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