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Brans Reise

Titel: Brans Reise
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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ihn deshalb in Hagdars Zelt allein gelassen? Er hatte nach Schweiß und getrocknetem Blut gestunken, und mit dem Bart war er kaum wiederzuerkennen gewesen. Bran lächelte und begann dicke, verfilzte Haarbüschel von seinem Kinn zu schneiden.
     
    Früh am Morgen nach der Heimkehr der Krieger sandte Visikal seine Wachen mit einer Botschaft in Tirgas Häuser. Es weckte große Freude bei den Tirganern, dass Visikal beim Willkommensfest am Abend seine Nichte Tir mit dem Nordmann verheiraten wollte. Das große Gelage, als Vares Sohn mit der Tochter Vamans vereinigt worden war, lag lange zurück, und die Tirganer hatten überdies einen ganzen Krieg zu feiern. Nur wenige hörten auf die Witwen, die leise die Wahrheit über Ars Niederlage gegen Vandar erzählten, denn sie waren ein Volk von Kriegern, und der Kriegszug hatte ihnen Ruhm und Ehre beschert.
    Und so konnte Visikal in seinem Turm stehen und auf den Hafen hinunterblicken, wo die Frauen Felle und Decken ausbreiteten und die Männer bündelweise Trockentang zu den Feuerrosten schleppten. Braumeister rollten Wein- und Metfässer durch die Straßen. Gepökeltes Fleisch und Fisch wurden an langen Stäben hinunter zum Hafen getragen. Kleine Kinder sprangen mit Holzschwertern in den Händen herum, einige andere versammelten sich auf der Eisfläche und warfen Schneebälle nach den Erwachsenen auf dem Hafenplatz. Der Skerg lächelte, als er das sah. Er legte seine Hände auf den Fenstersims und sog den feuchten Geruch von Meer und Schnee ein. Zum ersten Mal seit dem Tod seines Bruders konnte er seinen Blick ohne Scham über diese Stadt schweifen lassen. Damals hatte er seine Frauen aus dem Saal gejagt, eine ganze Nacht vor dem Feuer gehockt und sein Alter mit jedem Atemzug stärker gespürt. Nach drei Frauen wusste er, dass er niemals Kinder bekommen würde. Und jetzt, da die Familie seines Bruders getötet war, würde seine ganze Sippe wie Wasser im Sande zerrinnen. Diese Gedanken hatten ihn lange gequält, denn er entstammte einer Familie mächtiger Krieger, und in seinen Träumen hatte er seine eigenen Augen in dem Gesicht eines Jungen gesehen.
    Visikal trat zum Tisch. Dort standen ein Jagdhorn und ein Krug. Beide waren aus Bronze. Er hob den Krug an und sog den Duft des Weines ein. Von heute ab sollte er sich nie wieder um den Fortbestand seines Blutes sorgen. Denn Tir würde es weitertragen. Wenn Cernunnos in Gnade auf Bran blickte, würde sie einen Sohn gebären, der wiederum viele Söhne haben würde. So würde seine Linie wachsen, wenn auch in einem anderen Volk, in einem anderen Land. Das quälte ihn nicht, denn Cernunnos würde bei ihnen sein, wie er bei allen war, die Ars Blut in den Adern hatten.
    Noch in seiner Kriegstracht hatte er Tir zu sich gerufen. Er hatte im Saal zu ihr gesprochen und ihr gesagt, dass sich Bran als großer Krieger erwiesen habe und sie die seine werden sollte. Wie es der Brauch war, sollte sie vom ersten Tag an bei ihrem Mann leben. So hatte er sie gebeten, zusammenzupacken, was ihr gehörte, denn am Willkommensfest wollte er sie Bran übergeben. Sie hatte nichts dazu gesagt, sondern ihren Kopf gesenkt und war dann in den Garten gegangen. Viele Bündel Trockentang waren im Kamin verbrannt, während sie dort gestanden und übers Meer geblickt hatte.
    Vare war am ersten Abend bei ihnen gewesen. Und die zwei Skerge hatten Wein getrunken und über die Stärke der Vandarer gesprochen. Sie hatten das Feuer herunterbrennen lassen und bis spät in die Nacht über die Zeiten geredet, in denen Ar noch nicht so mächtig gewesen war und die Vandarer und Mansarer die Küste geplündert hatten. Tirga war jetzt genauso verletzlich, wie es früher gewesen war. Vare dachte finster darüber nach, was geschehen würde, wenn das ganze vandarsche Heer angreifen sollte.
    Visikal stellte den Krug wieder auf den Tisch und ließ seinen Blick noch einmal über die Stadt, den Hafen und das Meer schweifen. Dieser Tag, dachte er, war kein Tag für schwermütige Gedanken. Er ergriff sein Jagdhorn und hielt es ins Fenster. Die Sonne blitzte auf dem grünen Metall.
     
    Bran stand bei den Booten des Felsenvolkes. Die Schwester des Windes war bereits im Westen im Meer versunken. Er erinnerte sich an seine Kindheit, als der Vogelmann ihn mit auf die Felsenbrücke nahm, um ihm den Lauf des Tages zu zeigen. Die Ebenen vor der Felsenburg waren das Größte, was er sich damals vorstellen konnte, und er hatte zum Rand der Welt weit dort hinten unter dem Himmelszelt gespäht.
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