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Bombenstimmung: Tannenbergs sechster Fall

Bombenstimmung: Tannenbergs sechster Fall

Titel: Bombenstimmung: Tannenbergs sechster Fall
Autoren: Bernd Franzinger
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ihn: »Guten Morgen, Chef. Nehmen Sie mich mit zum Pfaffplatz?«
    »Klar, Flocke«, sagte er so freundlich, wie es ihm angesichts der frühen Morgenstunde und des gerade gedanklich von ihm bearbeiteten Themas möglich war. Er stemmte den Ellbogen nach außen, damit sie sich bei ihm einhängen konnte.
    Aber ganz gleich wie Tannenberg sich ihr gegenüber auch gebärdet hätte, Petra Flockerzie hätte ihm auch diesmal wieder sein Fehlverhalten nachgesehen. Sie war seit vielen Jahren nicht nur die zuverlässige und kompetente Sekretärin des K 1, sondern auch die gute Seele der Mordkommission. Sie hatte ein riesengroßes Herz, verfügte über eine Engelsgeduld und hatte stets ein offenes Ohr für die Probleme ihrer Kollegen. Darüber hinaus besaß sie eine Beobachtungsgabe, vor der man nichts verheimlichen konnte. Sensibel wie ein Seismograph registrierte sie jedes kleine emotionale Beben, jede atmosphärische Störung.
    Sie kannte Tannenberg bereits aus einer Zeit, als er noch ein völlig anderer Mensch war: fröhlich, ausgeglichen, belastbar, freundlich. Doch dann war er mental regelrecht zusammengebrochen, wurde verbittert, verschlossen und haderte fortan mit sich selbst und der Welt. Der einzige Mensch, der damals außer seiner Familie überhaupt noch Zugang zu ihm hatte, war sein bester Freund, der Gerichtsmediziner Dr. Rainer Schönthaler, der ihm in diesen dramatischen Monaten als treuer Wegbegleiter zur Seite stand.
    Petra Flockerzie wusste nur allzu gut, worauf die Veränderung seiner Persönlichkeit zurückzuführen war, was sich hinter seiner Launenhaftigkeit, seinen Alkoholexzessen und seinem rüpelhaften Verhalten versteckte. Auch die vor etwa einem Jahr plötzlich aufgetretenen und als Fibromyalgie diagnostizierten körperlichen Probleme ihres Vorgesetzten hatten sie nicht sonderlich verwundert. Eigentlich hatte sie schon viel früher damit gerechnet, dass Tannenberg auf seine gravierenden seelischen Probleme mit psychosomatischen Symptomen reagieren würde.
    Die Ursache für all diese Eruptionen, die ihm das Leben so unendlich schwer machten, ließen sich mit einem einzigen Wort zusammenfassen: Lea. Er konnte den Verlust seiner vergötterten Traumfrau einfach nicht verwinden. Sie war nun schon seit fast zehn Jahren tot, aber die Erinnerungen an sie lagen immer noch wie ein dunkler Schatten auf seiner Seele.
    Jedes Mal, wenn er sich dem weiblichen Geschlecht zwar eher zögerlich, aber nicht unbedingt erfolglos näherte, war Lea mit von der Partie. Obwohl er ernsthaft versuchte, sich dagegen zu wehren, waren die Vergleiche mit ihrer Person und ihrem Wesen allgegenwärtig und verhinderten eine tiefere emotionale Bindung an irgendeine andere Frau.
    Bei Ellen Herdecke, die Lea von ihrem Erscheinungsbild her stark ähnelte, hatte er eine Zeit lang fest geglaubt, dass er sich mit ihrer Hilfe endlich von Leas dominantem Einfluss befreien könnte. Aber diese Hoffnungen hatten sich nicht erfüllt. Nach dem verlängerten Wochenende in den Vogesen war er nun noch ein wenig skeptischer als zuvor, ob seine Beziehung zu Ellen überhaupt eine Zukunft hatte. Irgendwie wollte der Funken zu ihr einfach nicht richtig überspringen, auch an diesen Tagen nicht. Seine emotionale Energie ihr gegenüber verpuffte zusehends.
    »Was treibt Sie denn schon so früh hierher?«, fragte Petra Flockerzie, deren pralle Gesichtshaut von stark geröteten Wangen dominiert wurde. »Sonst kommen Sie freitags doch immer erst um neun Uhr zur Dienstbesprechung.«
    »Moin, Flocke«, gab der Leiter des K 1 kurz angebunden zurück.
    Kommentarlos akzeptierte die feiste Endvierzigerin Tannenbergs Verweigerung. »Ich denke, ich sollte Sie jetzt gleich mal mit einem doppelten Espresso verwöhnen«, sagte sie lächelnd. »Chef, Sie werden sehen: Der weckt sofort Ihre Lebensgeister wieder auf.«
    Tannenberg nickte dankbar. Schweigend begaben sich die beiden zum Dienstgebäude der Kriminalinspektion am Pfaffplatz. Während seine Sekretärin den Aufzug benutzte, nahm er den Weg übers Treppenhaus. Im K 1 angekommen, zog er sich, ohne ein weiteres Wort verlauten zu lassen, in sein Büro zurück und schloss demonstrativ die Tür.
    Petra Flockerzie empfand dieses Verhalten weder als außergewöhnlich noch gar als besorgniserregend. Es war eben eine seiner Marotten, die alle Mitarbeiter des K 1 mehr oder weniger stillschweigend akzeptierten. An diesem Morgen kam ihr sein Rückzugsbedürfnis sogar sehr zupass, denn schließlich hatte sie dadurch ein paar
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