Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Böser Engel

Böser Engel

Titel: Böser Engel
Autoren: Timothy Carter
Vom Netzwerk:
Feltless!«
    Beim Anblick des Mannes, der mit eiserner Faust über die Seelen von Wernsbridge regierte, musste ich schlucken. Wie bei unserer letzten Begegnung war er von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet und trug die blaue Baseballkappe seines Lieblingsvereins auf dem Kopf. Als sich unsere Blicke kreuzten, bestand für mich kein Zweifel mehr daran, dass auch er ein gefallener Engel war. Jetzt mussten wir nur noch dafür sorgen, dass sich die beiden Engel stritten.
    Nach der musikalischen Glanzleistung räumte unsere Gruppe die Bühne, damit die Kids aus Wernsbridge ihr Theaterstück aufführen konnten. Ich wäre jede Wette eingegangen, dass es sich gegen Homosexualität richtete – und hätte gewonnen.
    »Hey, Joe!«, sagte einer der Schauspieler. »Was trinkst du denn da?«
    »Hey, Stan!«, antwortete Joe und hielt eine Milchtüte in die Höhe. »Ich trinke homogenisierte Milch. Manche sagen zwar, dass reine Milch besser ist, aber ich bin nun mal mit dieser homogenisierten Milch geboren worden.«
    Meine Augenbrauen wanderten hinauf, meine Kinnlade klappte herunter. Das war unmöglich ihr Ernst, oder?
    »Komm schon, Joe!«, meinte Stan, »die Milch hast du doch im Geschäft gekauft, oder?«
    »Ja, du hast natürlich recht.«
    »Du weißt aber, dass reine Milch besser für dich ist, oder?«
    »Ja, stimmt schon wieder«, räumte Joe ein.
    »Trotzdem hast du dich dafür entschieden, diese homogenisierte Milch zu kaufen«, sagte Stan. »Obwohl du weißt, dass reine Milch die bessere Wahl wäre?«
    »Ja, habe ich.«
    »Was, wenn du später mal gesundheitliche Probleme bekommst?«, fuhr Stan fort. »Was wirst du deinem Arzt dann sagen? ›Ich konnte nicht anders, ich wurde mit homogenisierter Milch geboren‹?«
    »Nein, das würde ziemlich bescheuert klingen«, gab Joe zurück.
    »Weißt du, es gibt dort draußen tatsächlich Menschen«, sagte Stan und wandte sich zum Publikum, »die meinen, Homosexualität sei angeboren. Sie behaupten, es sei keine bewusste Entscheidung, das eigene Geschlecht zu bevorzugen. Und das, obwohl …«
    »Bestraft endlich die Selbstbeflecker!«, kam eine entnervte Stimme aus der Menge.
    »Genau!«, rief ein Zweiter. »Wir wollen sehen, wie sie leiden.«
    »Hey! Haltet die Klappe und lasst sie weitermachen!«, brüllte eine dritte Person; vermutlich jemand aus Wernsbridge.
    »Ja, lasst sie weitermachen«, ergriff Reverend Feltless das Wort und ließ den Blick über das Publikum schweifen.
    Nachdem wieder Stille eingekehrt war, ging die Schmierenkomödie weiter.
    Die restlichen Mitglieder der Jugendgruppe aus Wernsbridge betraten die Bühne. Stolz hielten sie Schilder in die Höhe: Darauf standen Zitate aus der Bibel, die angeblich schwulen- und lesbenfeindlich waren. Stan und Joe erklärten sie der Reihe nach. Am Ende liefen alle an den Bühnenrand, drehten ihre Plakate um und sangen die Botschaft auf der Rückseite:
    »GOTT MAG HOMOGENISIERTE MILCH, ABER KEINE HOMOS!«
    Damit wurde wieder auf den Anfang des Stücks verwiesen, und der Kreis schloss sich in diesem Affentheater. Aber immerhin war der Spruch besser als der Slogan aus dem vorangegangenen Jahr: »Homo oder bi – beides ist ein Schuss ins Knie.«
    Während die Wernsbridger voller Enthusiasmus klatschten, machten die Bewohner von Ice Lake nur anstandshalber mit. Wenig später wurden die Rufe nach den Bestrafungen wieder lauter.
    »Du bist dran«, sagte Mr. Brightly und sah dabei Ryan an.
    »O nein«, stöhnte ich, als Ryan auf die Bühne eilte. »Sag jetzt bitte nicht, dass er rappt.«
    Doch genau das tat er. Es war grausam. Ich stellte meine Ohren kurzerhand auf Durchzug und widmete mich stattdessen meinem Skript. In dem Stück sollte ich an einen Stuhl gefesselt werden. Währenddessen sollten die anderen darüber sprechen, wie teuflisch Selbstbefriedigung war und dass es eine ganze Reihe von Dingen im Leben eines Teenagers gab, die ihn zu dieser entsetzlichen Sünde treiben konnten. Im Anschluss daran würden sie sich über mich unterhalten und mich bestrafen. Im Skript stand zwar nicht genau, wie die Strafe aussah. Angesichts der Tatsache, dass ich an einen Stuhl gefesselt war, war ich mir jedoch sicher, dass mir etwas Schmerzhaftes bevorstand.
    Als Ryan seinen Rap beendet und dafür stürmischen Applaus eingeheimst hatte, ging er mit stolzgeschwellter Brust von der Bühne. Im selben Moment gab Brightly uns ein Zeichen. Ehe ich wusste, dass ich überhaupt aufgestanden war, lief ich bereits mit den anderen in Richtung Bühne.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher