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Böser Engel

Böser Engel

Titel: Böser Engel
Autoren: Timothy Carter
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um Poster spärlich bekleideter Berühmtheiten geht, lieber Brad Pitt als Angelina Jolie an die Wand hänge. Erraten, ich bin schwul. Gemerkt habe ich es vor zwei Jahren, kurz vor unserem Umzug aus der Großstadt in die Provinz. Man sieht es mir nicht auf den ersten Blick an. Ich bin weder tuntig, noch kleide ich mich besonders ausgefallen oder chic. Außerdem schwärme ich nicht für Mädchenfilme und neige auch nicht dazu, übertrieben einfühlsam zu sein. Wenn es jedoch darum geht, in wessen Gegenwart ich lieber nackt bin, gewinnt das männliche Geschlecht. So bin ich nun mal. Oder um es so auszudrücken, wie ich es meiner Jugendgruppe gegenüber formuliert habe: Ich bin, wie Gott mich geschaffen hat.
    Das hat mir eine Menge Pluspunkte eingebracht.
    Erstaunlicherweise hat mir niemand je wegen meiner sexuellen Orientierung das Leben zur Hölle gemacht. Nur einmal hat es überhaupt eine Rolle gespielt. Aber wie die Sache mit meinem »Hobby« spare ich mir diese Geschichte für später auf.
     
    Die Fahrt zur Kirche verlief in beinahe feierlicher Stille. Mom saß am Steuer, Tiffany auf dem Beifahrersitz, und Josh und ich teilten uns die Rückbank. Normalerweise nölte Josh die ganze Fahrt darüber rum, was er mit seiner freien Zeit anstellen könnte, wenn er nicht in die Kirche gehen müsste. Mom und Tiffany wechselten sich dann ab, mit Engelszungen auf ihn einzureden.
    Heute hingegen hüllte Josh sich in Schweigen und starrte mir auf den Schritt. So, als würde er darauf warten, dass sich dort etwas regte. Ich faltete die Hände zusammen, legte sie in den Schoß und tat, als würde ich nichts merken.
    Auf Tiffanys Schoß hingegen lagen ein aufgeschlagener Ordner sowie ein Stapel Karteikarten. Sie unterrichtete in der Sonntagsschule und nahm ihre Stelle sehr ernst. Sonst musste sie fast jedes Mal ihre Last-Minute-Vorbereitungen unterbrechen, um Josh die Bedeutung der Sonntagsschule näherzubringen – doch auch das war heute anders. Tatsächlich kam es mir so vor, als wäre es im Auto seit der Fahrt zu Dads Beerdigung nicht mehr so still gewesen.
    Dad war ein Freigeist gewesen, also das genaue Gegenteil von Mom. Er hatte als Trickfilmzeichner für eine große Filmgesellschaft in der Stadt gearbeitet. Mom und er hatten sich bei einer Kirchenveranstaltung kennengelernt. Im Gegensatz zu Mom war er nicht sonderlich religiös gewesen und hatte uns stets ermutigt, unsere eigenen Antworten zu suchen. Mom und Tiffany ist er damit zwar kräftig auf die Nerven gegangen, aber er hat uns alle geliebt und es uns auch auf seine Weise wissen lassen.
    Dann ist er erschossen worden. Bei einem Streit zwischen zwei Gangs. Er hatte das Pech, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein.
    Kurz nach seinem Begräbnis sind wir nach Ice Lake gezogen. Mom meinte, auf dem Land wären wir vor solchen Gewalttätigkeiten sicher.
    Anscheinend spürte Mom nun, dass es ähnlich ruhig war wie vor Dads Beerdigung. Sie versuchte die Stimmung aufzulockern, indem sie ein Gespräch anfing.
    »Worum geht es heute in deiner Stunde?«, fragte sie Tiffany.
    »Das würde ich gerne noch geheim halten«, antwortete Tiffany. »Die Idee zu dem Thema ist mir erst gestern Abend gekommen. Eigentlich hatte ich vor, mit dem Fünften Buch Mose weiterzumachen, aber dann …«
    »Ja?«, hakte Mom nach.
    »Ich erzähle dir später davon, ja?«, wich meine Schwester aus. »Es ist wirklich etwas … Hey, sind das da drüben nicht die Farmsons?«
    Vor uns bog ein grauer Minivan auf den Parkplatz der Kirche. Ja, es waren die Farmsons, die frömmste Familie von ganz Ice Lake. In jeder Kleinstadt gibt es eine Familie, die päpstlicher als der Papst ist. Und diese Rolle war den Farmsons wie auf den Leib geschneidert.
    Normalerweise waren sie die Ersten, die sonntags eintrafen – und damit schlugen sie selbst Father Reedy für gewöhnlich um zehn Minuten. Aber heute war ihnen dieses Kunststück nicht gelungen. Es waren bereits fünf oder sechs Autos da.
    Mom wählte einen Parkplatz in unmittelbarer Nähe des Minivans, und wir stiegen aus. Mit ihrem Sohn Jacob im Schlepptau steuerten Mr. und Mrs. Farmson geradewegs auf uns zu. Die drei sahen wie aus dem Sonntags-Ei gepellt aus. Die Anzüge von Vater und Sohn wirkten, als kämen sie frisch aus der Reinigung, und ihre Schuhe waren so auf Hochglanz poliert, dass man fast geblendet wurde. Und dann war da noch Mrs. Farmsons Kleid, das so konservativ war, dass es ihr etwas Androgynes verlieh.
    Im Gegensatz dazu sahen wir aus, als
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