Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutschwestern

Blutschwestern

Titel: Blutschwestern
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
eines Vogels, es flatterte aufgeregt, und Degan spürte das Band zwischen ihnen deutlicher als je zuvor.
    Der Sog kam unvermittelt und heftig wie bei ihrem ersten Kuss. Xiria versuchte sich aus seiner Umarmung zu lösen, doch Degan
     hielt sie fest umklammert. Sie war stark, und es kostete ihn alle Kraft, sie zu halten, während er spürte, wie ihr Herz immer
     schneller schlug, während er sie austrank und leerte, wie einen Becher Wein. Eine eigentümliche Spannung, ein Sturm rauschte
     durch Degan hindurch, pulsierte durch seinen Körper, und gleichzeitig schoss die Lebenskraft aus Xiria heraus. Er nahm zurück,
     was er ihr gegeben hatte … und noch viel mehr. Degan ließ sie nicht los. Ihre Gegenwehr erstarb, und kurz war er versucht,
     sie freizugeben, da ihr Herz so schnell pulsierte, dass es kurz vor dem Zerbersten stand. Er ließ sie nicht los! Ein letztes
     Aufbegehren des Herzens, ein letztes Flattern, dann hing sie schlaff in seinen Armen, Ihr Herz verstummte; kein Laut drang
     mehr aus ihrem Körper und ihrem Mund.
    Leere, Kälte und Einsamkeit breitete sich wie ein Vorhang über Degan, und als er in Xirias leere Augen sah, die durch ihn
     hindurchzublicken schienen, begann er ihren Namen zu rufen, so laut und verzweifelt, wie er es nie zuvor getan hatte.
     
    Sie kreisten über ihnen und waren bereit, auf sie hinabzustoßen. Das Schlagen ihrer Schwingen war ohrenbetäubend, und es waren
     so viele, wie nachts Sterne am Himmel standen. Ihre weißen Schwingen und ihr silbernes Haar verwoben sich beinahe ineinander, |426| so dicht an dicht drängten sie sich über die in der Tempelstadt versammelten Menschen. Tojar hatte als Erster gewagt, in den
     Himmel zu schauen, jetzt blickten auch Ilana und die anderen hinauf. Anmutige Leiber, unwirklich schöne Gesichter, die sie
     in dem sicheren Versprechen ansahen, ihnen allen den Tod zu bringen. Wieder ertönten Angstschreie und Stoßgebete an die Göttin.
     Sogar die Priesterinnen Salas hielten sich die Hände vor den Mund, um nicht zu schreien. Wie gerne wären sie fortgelaufen,
     doch es gab kein Entkommen. Muruk war zurückgekehrt.
    Ilana drückte Tojars Hand noch fester und legte schützend einen Arm um sie, obwohl es keinen Schutz gab. Weiße Schwingen kamen
     immer näher, und schon bald schien der Himmel nur noch aus Schwingen, Leibern und Haaren zu bestehen. Tojar schloss die Augen
     und bedeutete Ilana, es ihm gleichzutun. Neben ihrer Angst und ihrer Trauer schien sich eine tiefe Verbitterung in ihr Herz
     gefressen zu haben. Doch das Letzte, was sie sah, sollten nicht die kalten Augen des Todes sein. Ilana wehrte Tojar ab, stattdessen
     blickte sie weiter in den Himmel, als wolle sie die Grausamkeit des nahenden Endes tief in sich aufnehmen und sich selbst
     bestrafen.
    Plötzlich kniff sie überrascht die Augen zusammen. Tojar folgte schließlich ihrem Blick, dann sah auch er, was sie dort oben
     so angestrengt betrachtete. Mitten unter den weißen Schwingen waren ein paar dunkle erschienen. Sie hoben sich ab von dem
     Gewirr der weißen, kreisten unter ihnen und tauchten ein in die unüberwindliche Übermacht. Tojar hielt die Luft an, als er
     sah, wie sich der einzelne Greif den anderen entgegenzustellen schien.
    »Es ist Dawon«, flüsterte Ilana ungläubig. »Was tut er da?«
    Tojar schüttelte ratlos den Kopf. Der dunkle Greif, der schon fast zu einer blassen Erinnerung für ihn geworden war, kreiste
     unter ihnen, und Tojar fürchtete, dass die anderen, die ihn einst aus ihren Reihen verstoßen hatten, ihn im nächsten Augenblick
     zerreißen würden. Doch es geschah nichts dergleichen. Während die Engilianer verstummt waren und ebenfalls beobachteten, was
     sich |427| über ihren Köpfen abspielte, zog das Greifenheer eine letzte Schleife über ihren Köpfen und drehte schließlich ab.
    Noch immer erstarrt, beobachteten Tojar und Ilana, wie sich der Himmel vor ihnen wieder blau färbte … strahlend blau, ein
     Blau, von dem keiner von ihnen mehr gehofft hatte, es jemals wieder erblicken zu dürfen. Die Sonne schien ihnen warm ins Gesicht,
     und erst da begriffen sie, dass die Greife wirklich fort waren.
    Schließlich kreiste nur noch der Greif mit den dunklen Schwingen am Himmel. Ilana löste sich aus ihrer Starre und rief seinen
     Namen. Tatsächlich sank er tiefer und schien zu ihr zu kommen; einen kurzen Augenblick war ihr Dawon so nah, dass sie sein
     Gesicht erkennen konnte. Er sah aus, wie sie ihn in Erinnerung behalten hatte, mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher