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Blutsbrüder

Blutsbrüder

Titel: Blutsbrüder
Autoren: Ravensburger
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Grundschule, wie am letzten Schultag auf dem Gymnasium.
    Während er vorsichtig auf Hakan zugeht, pfeift der zweite Begleiter, der kaum älter sein kann als der noch immer stumme Ömer, er pfeift auf besondere Weise.
    Über die Mauer steigen, im Licht des steten Scheinwerfers, ungefähr zehn junge Männer, Silhouetten, scharfkantige Konturen, angeführt vom narbigen Cousin. Einige mit Baseballschlägern, Stangen, Knüppeln, die meisten bleiben für Sekunden oben auf der Krone der mürben Mauer stehen. Emre wirkt, soweit es Darius im Dunkeln erkennen kann, bestürzt.
    »Bastard«, murmelt Hakan, während Emre die Gruppe auf der Mauerkrone mit einem Blick zu erfassen versucht, dabei nervös mit den Armen wedelt, als wolle er sie zurückscheuchen, und gehetzt ruft: »Nein!«
    Darius ist weniger verwundert. Weder war er sich sicher, dass der Cousin am Schauplatz erscheint, noch hätte er die Hand dafür ins Feuer gelegt, dass Emre allein auftauchen wird. Auch diese Variante überrascht Darius nicht besonders. Ohne Eile schiebt er seine Hand in die Jacke.
    Während er sich erhebt und sich auf Emre zubewegt, noch unbemerkt von den anderen, behält er die Hand in der Tasche und lässt die Gestalten auf der Mauer nicht aus den Augen. Die meisten wirken in ihren leichten Schuhen geschmeidig und schnell.
    Eine Ruhe nimmt von Darius Besitz, die wie ein Trost ist. Er empfindet keinen Ekel, obwohl er sich wieder im Biologieraum sieht vor dem sezierten Fisch.
    Er sieht sich von oben auf die Szenerie hinunterblicken, sieht die Gestalten, schön anzusehen im Gegenlicht, wie übergroße Schachfiguren. Er spürt in seiner Tasche das Gewicht der Waffe, erinnert sich an den Tag, als er sie ausprobiert hat: fünf Patronen in der Trommel des schweren Revolvers aus dem Zweiten Weltkrieg.
    Er hat die Pistole in ein Kissen und das Federbett gedrückt, um den Schall zu dämpfen, darunter die Matratze und die Decke, um das Parkett des schönen Gemeinschaftsraums zu schonen, unter dem Kissen sein Mathematikbuch, dann hat er abgedrückt.
    Die Kugel blieb zwischen den binomischen Formeln stecken, hat die Parabeln durchschlagen. Darius hat dem gedämpften Knall nachgelauscht und gehorcht, ob er nach dem Probeschuss in der Wohnung über oder unter ihm Geräusche hören kann, die ungewöhnlich sind, einen Anruf zum Beispiel. Aber alles blieb still. Nichts, nur das Platzen einer Brötchentüte, die man mit der flachen Hand zerschläg t – oder der Knall einer Tür.
    Jetzt richtet Darius den Revolver auf Emres rechtes Bein.
    In dem Augenblick, als Emre ihn bemerkt und Hakan sich in einem Reflex ebenfalls zu ihm umdreht, zielt Darius auf den Schenkel oberhalb des rechten Knies. Er weiß, dass er, um die Wirkung zu steigern, nicht reden, nicht verhandeln darf, er muss nur schießen. Vier Patronen. Er wartet, bis der Scheinwerfer die Szenerie beleuchtet und schießt, noch ehe Emre sich bewegen kann. Der sackt in sich zusammen, umfasst sein Knie, den Schenkel und gibt einen stumpfen Ton von sich, der Staunen ausdrückt, Verblüffung, aber noch keinen Schmerz.
    Ömer hingegen schreit auf. Hakan bewegt sich nicht.
    Die Gestalten auf der Mauer und, soweit Darius sie im Schatten davor erkennt, auch diejenigen, die unterdessen schon auf dem Friedhof stehen, sind in ihren Bewegungen erstarrt. Zu plötzlich, zu sehr entgegen jeder Erwartung, hören sie den Schuss aus einer Waffe, sehen, wie Emre getroffen wird.
    Einige von ihnen lassen sich geistesgegenwärtig von der Mauerkrone auf die Erdhaufen dahinter fallen und laufe n – Darius kann sie nicht sehen, nur ihre Schritte höre n – über den kleinen Platz zwischen den Gebüschen davon.
    Das Licht des Scheinwerfers kehrt wieder.
    Darius schießt ein zweites Mal.
    Er trifft eine Figur aus Gips, die an der Mauer auf einem Podest steht und die Mauerkrone an Höhe überragt. Noch zwei Patronen.
    Hastig erklimmen die letzten jungen Männer, auch der narbige Cousin, die Mauer, haben keine Verwendung mehr für ihre Knüppel und Baseballschläger, springen auf der anderen Seite hinunter und rennen davon.
    Gehetzt will auch Emres zweiter Begleiter folgen, es handelt sich tatsächlich um den arabischen Jungen, aber er stolpert über einen Grabstein. Statt aufzuspringen und zu flüchten, drückt er sich an die Erde und bleibt liegen. Ömer setzt sich neben ihn und beginnt zu weinen.
    Darius hört Emre stöhnen, sieht Hakan, der den Kopf in Zeitlupe von ihm weg und wieder zu ihm hin dreht. Darius nickt ihm zu.
    Jemand
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