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Blutsbrüder

Blutsbrüder

Titel: Blutsbrüder
Autoren: Ravensburger
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wirft einen Stein über die Mauer und streift Darius am Kopf. Streift ihn nur leicht, lässt ihn, dennoch benommen, die Waffe ein drittes Mal heben und schießen, ohne zu überlegen. Der Schuss verliert sich in der Dunkelheit.
    Hakan setzt sich bei einem aufgelassenen Grab langsam auf den Boden. Wieder schält der Scheinwerfer den Friedhof aus der Dunkelheit. Emre stöhnt lauter.
    Darius fasst mit der Hand nach der Stelle am Kopf, wo ihn der Stein getroffen hat, und spürt, dass seine Finger feucht werden vom Blut, das ihm die Haare verklebt.
    Emre ruft leise: »Hilf mir.«
    Darius lässt sich kurz auf den Boden sinken, er will nicht mehr, wieder trifft ihn das Licht des kreisenden Scheinwerfers.
    Er kämpft gegen seine Benommenheit an, spürt in der Gesäßtasche das sperrige Messer im Etui aus abgegriffenem Leder.
    Er steckt den Revolver in seine Sommerjacke, die er trägt, obwohl es viel zu warm ist, und spürt die schwüle Luft wie etwas Festes. Er krabbelt zu Emre hinüber und sieht, dass dessen Schenkel blutet. In Stößen fließt das Blut an seinem Knie herunter und sickert in das Moos.
    »Danke«, murmelt Hakan, als Darius eilig an ihm vorbeikriecht.
    Emre sieht ihn an, dann schließt er die Augen.
    »Ich werde sterben«, sagt er.
    Darius wartet auf das Licht, zerrt seinen Gürtel aus der Hose, tastet im Dunkeln nach einem Stock, schlingt den Gürtel dreifach um Emres Bein. Schiebt den Stock zwischen das Leder, dreht ihn wie einen Knebel, bindet das Bein ab, bis das Blut kaum noch aus der Wunde läuft, dreht weiter und fixiert den Stock, sodass sich der Knebel nicht mehr von allein lösen kann.
    Danach verlässt er Emre, der ebenso still ist wie Hakan und wie Ömer und wie der arabische Junge und wie der Friedhof und die Nacht, er krabbelt zurück zu seinem Platz bei den zusammengesunkenen Grabsteinen und lehnt sich an einen von ihnen. Er zieht den schweren Revolver wieder aus der Jackentasche, hebt ihn vor die Augen, betrachtet ihn, lässt ihn sinken, wirft ihn weg.
    Die Pistole fällt auf eine Umfriedung, der Hammer schlägt auf die Patrone. Der letzte Schuss löst sich, dann ist es endgültig still bis auf Emres gelegentliches Stöhnen und Ömers leises Schluchzen.
    Darius zieht das Messer aus seiner Gesäßtasche und aus der Schutzhülle, die feucht ist von seinem Schweiß. Beides wirft er fort.
    Die Nacht um ihn ist dunkel wie das Innere einer Höhle. Dennoch sieht er die aufgetürmten Wolken, schwarz und bedrohlich, sobald der Scheinwerfer des Flughafens über den Himmel fährt.
    Noch immer ist es war m – zu warm, denkt Darius.
    Es ist vorbei, denkt er, es sollte regnen.
    Und tatsächlich spürt er einige Spritzer auf seinem Gesicht. Aber es regnet nicht richtig und die wenigen Tropfen mildern die Hitze kaum.
    Am Rücken fühlt er den kühlen Grabstein aus Granit durch das verschwitzte T-Shirt und wartet, als habe er unendlich lange Zeit.
    Dann sieht er die Polizisten, noch ohne sich bemerkbar zu machen, sieht, wie sie sich dem verwilderten Teil des Friedhofs nähern und mit ihren Taschenlampen die Mausoleen ableuchten, beobachtet, dass Emre sich zwischen zwei Gräbern unwillkürlich an die Erde presst, als wolle er unsichtbar werden.
    Darius bemerkt, wie Hakan sich erhebt, auf die Beamten zuläuft, die Hände seitlich von sich streckt und festgenommen wird.
    Ihm folgen Ömer und dann auch der Junge, Ömers arabischer Freund, mit dem er Fußball spielt.
    Der Mond taucht fahl hinter einer Wolke auf, die Regentropfen sind wie die verwehte Gischt des Meeres, nach dem sich Darius unvermittelt sehnt. Der Scheinwerfer des Flughafens zieht unbeirrbar seine Kreise und plötzlich hört er hinter sich Tomtoms vertraute Stimme.
    »Wir haben die Handys orten lassen. Hakans auch. Liegt aber bei ihm zu Hause. Danach deins. Sorry, ging nicht anders. Und Alina meint e …«
    Darius dreht sich um. »Danke!«
    Tomtom lehnt sich schwerfällig gegen einen Baum, ächzt und hält sich seine Rippen.
    Neben ihm taucht Harun auf, der Darius mit einer Mischung aus Verwunderung und Respekt betrachtet.
    Und nun erscheint auch Alina, die erst bei Hakan gewesen ist und ihm etwas zugeflüstert hat. Sie beugt sich zu Darius herunter und wispert: »Egal was weiter geschieh t – sezier nie wieder Fische. Bitte, versprich mir das.«

Autoreninformation

    ©Marijan Murat
    Michael Wildenhain wurde 1958 in Berlin geboren, wo er nach wie vor lebt. Er studierte Philosophie und Informatik, engagierte sich in der Hausbesetzerszene und in
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