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Blutige Küsse und schwarze Rosen

Blutige Küsse und schwarze Rosen

Titel: Blutige Küsse und schwarze Rosen
Autoren: Irina Meerling
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hatte noch herübergekommen war, war Elias der Gedanke gekommen, dass die ganze Sache nicht so viel bedeuten konnte, wie er zunächst geglaubt hatte. Womöglich hatte er den Sinn des Geschenkes komplett überbewertet? Oder Nico hatte es sich plötzlich anders überlegt?
    Diese und andere Fragen waren ihm durch den Kopf geirrt. Nun aber war Nico hier und wirkte bei Weitem nicht so gelassen, wie man es sonst von ihm kannte. Er fuhr sich mehrmals durchs Haar, trat von einem Fuß auf den anderen und ließ Elias dadurch vermuten, dass sein Kumpel sehr wohl ahnte, was für einen Wunsch er gleich hören würde. Vorausgesetzt, Elias bekäme trotz seiner unbarmherzig aufkommenden Nervosität überhaupt den Mund auf.
    „Gehen wir dann?“ Nico kehrte zurück ins Treppenhaus und drehte sich kurz darauf wieder nach Elias um. „Kommst du?“
    Mit vor Aufregung trockenem Hals nickte er. „Ja, ja. Natürlich.“ Doch seine Beine dachten nicht einmal daran, ihn in Richtung Wohnungstür zu tragen. „Ich muss nur mal eben … Warte bitte kurz!“
    Das Herz hämmerte laut in Elias’ Ohren, als er in sein Schlafzimmer eilte und mit zittrigen Fingern die Fotografie von der Nachtkonsole nahm.
    Während er das Abbild seines Freundes betrachtete und sich sofort eine wohlige Wärme im Bauch bemerkbar machte, kramte er mit der freien Hand einen Kugelschreiber aus der Schublade. Elias war klar geworden, dass es ihm unmöglich sein würde, seinen Wunsch ohne Weiteres auszusprechen und so schrieb er ihn auf der Rückseite des Bildes nieder:
    „Küss mich.“
    Waren das die richtigen Worte? So kurz und knapp? Elias wusste es nicht. Und es war auch vollkommen gleichgültig. Denn er hatte nicht vor, Nico diese Aufforderung herüberzureichen. Die Notiz war allein für ihn selbst bestimmt. Sie sollte ihm Mut machen. Sie sollte ihn zusammen mit dem Foto daran erinnern, dass er seinem Freund alles sagen, ihn um alles bitten konnte. Und vielleicht, wenn diese zwei Silben tatsächlich nicht freiwillig über seine Lippen kämen, würde Elias sie ablesen können. So wie es große Redner taten; nur dass Elias anstatt eines großen Redners bloß ein unsäglicher Feigling war.
    Letztlich war es egal, wie er es anstellte: Wenn Nico bereit war, ihm einen so wertvollen Wunsch zu erfüllen, dann würde Elias es auch schaffen müssen, diesen laut zu äußern.
    „Bist du soweit?“ Nico wartete mit hochgezogenen Augenbrauen in der geöffneten Wohnungstür und musterte Elias, als er in den Flur zurückkehrte.
    „Jetzt schon“, antwortete Elias und umklammerte dabei das zusammengefaltete Bild in seiner Hand. Er folgte Nico die Stufen des Treppenhauses hinab und nach draußen.
    Es war eine angenehm laue Sonntagnacht. Selbst der Windhauch, der durch ihre Kleidung blies, fühlte sich warm auf der Haut an. Dennoch kribbelte eine leichte Gänsehaut über Elias’ Rücken, als er an der Seite seines Freundes die spärlich beleuchtete Straße entlangging.
    Keiner sprach, und anders als sonst war es kein unbeschwertes Schweigen. Es war vielmehr wie das Schweigen im Wartezimmer eines Arztes, wenn man auf eine wichtige Diagnose wartete. Elias’ Griff um das Foto wurde mit jedem Schritt fester und er spürte, wie das dicke Papier allmählich feucht wurde. Feucht vor Angstschweiß.
    „Also.“ Nach scheinbar mehreren Stunden durchbrach Nico die Stille. „Du fragst dich vielleicht, warum ich daraus so eine große Sache mache, anstatt es einfach … zu tun.“ Er sprach ruhig, trotzdem war das Zögern in seiner Stimme herauszuhören. „Ich will, dass du dich dabei wohlfühlst. Wenn wir das auf die Schnelle machen, wird es zu … mechanisch. Verstehst du?“ Er warf Elias einen flüchtigen Seitenblick zu. „Dabei sollte man es in jedem Fall richtig machen. Es ist ein besonderer Moment.“
    Elias leckte sich nervös über die Lippen und richtete das Augenmerk auf die akkurat gepflasterte Straße, auf der der Lichtkegel der Taschenlampe hin und her tänzelte. Dass Nico von Begriffen wie „küssen“ keinen Gebrauch machte, stimmte ihn wahnsinnig dankbar.
    „Du bist so still. Sehr nervös, hm?“
    „Ich …“ Elias schielte zu Nico herüber. Seit fast drei Jahren hatten sie nicht mehr derartig vorsichtig nach Worten gesucht. „Du musst das nicht tun“, sagte er endlich. „Ehrlich, wenn sich dadurch zu viel ändert, dann …“
    „Dadurch wird sich natürlich alles ändern“, entgegnete Nico und ließ Elias’ Herz einen Moment lang aussetzen. „Aber nicht
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