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Schärfentiefe

Titel: Schärfentiefe
Autoren: I Mayer-Zach
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PROLOG
    Ende Oktober, Flusskraftwerk Freudenau, Wien
    „Verdammt, der Rollladen klemmt schon wieder“, fluchte der Eventmanager. Immer, wenn es ihm gelungen war, den einen hinunterzulassen, zog es den daneben wieder hinauf.
    „Jetzt lass es gut sein“, versuchte ihn sein Kollege zu beruhigen. „Ist doch egal, ob alle zu sind oder nicht.“
    „Aber es ist nicht perfekt. Die Ausleuchtung der Fensterrahmen sieht besser aus, wenn alle Rollos geschlossen sind.“
    „Gib jetzt endlich Ruhe. Wir haben im Moment wirklich andere Sorgen. Schau mal dem Techniker auf die Finger, damit das Mikrofon und die Präsentation endlich funktionieren.“
    Zwei Stunden später war wunderbarerweise alles an seinem Platz, die Technik spielte nicht mehr verrückt, oder zumindest gab es die berechtigte Hoffnung, dass alles glatt gehen könnte. Das Buffet würde geschmacklich und optisch alle Erwartungen übertreffen.
    Gegen sieben Uhr abends trafen die ersten Gäste ein und nach und nach füllte sich der Raum, der sich – in Dunkelrot und Cremefarben – festlich dekoriert präsentierte. Die Sektgläser klirrten leise. Alles lief wie am Schnürchen und der Veranstaltungsmanager lehnte zufrieden an der hinteren Wand und freute sich über den gelungenen Auftakt.
    Als der Festredner das Podium betrat und die Projektion gestartet wurde – ohne dass es zu einem Stromausfall oder einem Computerabsturz gekommen war wie bei den Probeläufen –, nahm auch er ein Glas Sekt und trat ans Fenster, bei dem der Rollladen nicht funktionierte. Die gelborange Ausleuchtung des Rahmens war perfekt. Sein Assistent hatte rechtgehabt: Es war völlig egal, ob das Rollo offen war oder nicht.
    Es war eine kalte, sternenklare Nacht. Er mochte diese Momente an seinem Beruf: Zuerst die Hektik – ständig schien etwas schiefzugehen – und dann kamen die Gäste, fühlten sich sichtbar wohl, ließen sich von technischen Effekten und kulinarischen Genüssen begeistern und genossen das Fest.
    Sie befanden sich hier im Veranstaltungssaal des Wasserkraftwerks Freudenau. Er konnte von hier aus einen Teil des imposanten Baus sehen, der nur spärlich beleuchtet war. Als er den Auftrag für diese Veranstaltung bekommen hatte, hatte er eine Führung gemacht und war von der Größe und Technik des Baus beeindruckt gewesen.
    Denn das, was an der Oberfläche zu sehen war, war nichts im Vergleich zu dem, was sich unter der Erde abspielte: Durch riesige Turbinen donnerten Tonnen von Wasser. Ganz klein kam man sich da vor, daran änderte auch der Helm, den jeder Besucher erhielt, nicht viel. Ein Milliardenprojekt, das jede Menge Futter für die Energiedebatten abgab, die in den späten achtziger Jahren ihren Anfang genommen hatten: auf der einen Seite die Umweltschützer, die ihre Kritik bestätigt sahen, auf der anderen Seite die Befürworter, die einem Ende der österreichischen Wasserkraft entgegentreten wollten. Letztere waren überzeugender: Bei der Volksbefragung im Jahr 1991 stimmten drei Viertel der Österreicher für den Bau des Donaukraftwerks Freudenau.
    Während dem Eventmanager diese und andere Gedanken durch den Kopf gingen, kam plötzlich Bewegung in die bis dahin spiegelglatte Oberfläche des Wassers. Der automatische Kämmrechen hatte sich in Bewegung gesetzt, um das mehrere Meter tiefe Eisengitter zu säubern. Bei der Führung hatte er erfahren, dass das notwendig war, um Holzteile und sonstige Flussabfälle von den Turbinen fernzuhalten. Je nach Wasserlauf schaltete sich der Kämmrechen ein- bis zweimal täglichautomatisch ein, holte alles, was hängen geblieben war, an die Oberfläche und entsorgte es in einem Container.
    Gespannt sah der Manager zu und nippte an seinem Sektglas. Technische Abläufe waren für ihn schon immer interessant gewesen. Aber das Leben hatte anderes mit ihm vor und so schlug er sich nun nicht mit Maschinen, sondern mit den Launen seiner Auftraggeber und Gäste herum.
    Was würde der Rechen an die Oberfläche bringen?
    Lauter Applaus lenkte ihn von seinen Gedanken ab. Fast hätte er sein Stichwort versäumt. Rasch eilte er zu seinen Leuten und gab den Kellnern das vereinbarte Zeichen. Die öffneten daraufhin die Verbindungstür zum angrenzenden Raum, sodass in dem noch abgedunkelten Zimmer das Buffet zu sehen war. Auf den Tischen zischten Sprühkerzen. Ein entzücktes Raunen war zu hören, gleich darauf erneut Applaus.
    „Meine Damen und Herren, das Buffet ist eröffnet.“
    Alles lief bestens, die Stimmung war großartig. Bis zu
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