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Blut Von Deinem Blute

Titel: Blut Von Deinem Blute
Autoren: Silvia Roth
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verschwunden, um nie wieder aufzutauchen, wie all die anderen Männer, mit denen sie ihr Leben – oder doch zumindest ihr Bett – bislang geteilt hatte. Stattdessen hatte er ihr Bücher geschickt, sich an ihren Geburtstag erinnert und obendrein so getan, als fühle er sich tatsächlich wohl in den engen, chromblitzenden Bars, in denen die Beschäftigten aus Lauras Agentur ihren Arbeitstag mit reichlich Alkohol und oberflächlichen Gesprächen ausklingen ließen.
    Spätestens da hätte ich einen Schlussstrich ziehen müssen, dachte Laura. Schließlich hatte sie um Männer, die sie gut behandelten, schon immer einen weiten Bogen gemacht, weil das Gutbehandeltwerden Risiken barg, die sie nicht auf sich zu nehmen bereit war. Und bislang war es ihr ja auch immer gelungen, rechtzeitig die Notbremse zu ziehen.
    Nur bei Leon hatte sie irgendwie den richtigen Zeitpunktverpasst. Falls es so etwas wie einen richtigen Zeitpunkt überhaupt gab. Und nun war sie schwanger ...
    Die Maschine erreichte die ihr zugewiesene Parkposition.
    Ein letzter Ruck, und die Boeing stand. Und nur ein paar hundert Meter Luftlinie entfernt lauerte bereits die Flut.
    Was haben Sie jetzt vor?
    Laura straffte die Schultern. Nun, zumindest das wusste sie genau. Sie wollte kein Kind. Sie hatte alles Notwendige in die Wege geleitet. Der Termin für ihre Abtreibung war in neun Tagen, am neunundzwanzigsten August, dem Todestag ihres Vaters. Die Ironie, die in dieser Tatsache steckte, rang ihr ein dünnes Lächeln ab. Der neunundzwanzigste August ist schon immer ein guter Tag zum Sterben gewesen, dachte sie. Ein Schlachttag.
    »Und Sie sind sicher, dass Sie so lange warten wollen?« Die Frau in der Klinik hatte ziemlich verwundert geklungen. »Ich könnte Ihnen auch noch einen Termin in der nächsten Woche anbieten.«
    »Nein danke«, hatte sie geantwortet. »Der Neunundzwanzigste ist schon in Ordnung.«
    »Ganz bestimmt?«
    »Ja«, hatte sie gesagt. »Ich habe vorher noch etwas zu erledigen.«

2
    Ich stehe am Strand, und vor mir liegt die See. Der wilde Teil. Der, den ich am meisten hasse.
    Die Sonne scheint, aber das kann genauso gut ein Trick sein.
    Neben mir hoppelt Mia von einem Bein auf das andere. Ob sie aufgeregt ist oder einfach nur zur Toilette muss, weiß ich nicht, und eigentlich ist es mir auch ziemlich egal. Aber, gemessen an ihrem Meer-Tick, ist es wohl eher die Aufregung. Sie liebt diesen Strand, an dem die Welt nur noch aus Himmel und Sand besteht. Warum es ausgerechnet die St. Quen's Bay sein muss, wenn wir schon mal einen Ausflug machen, verstehe ich nicht. Es gibt keinen Ort, wo die Brandung stärker ist und die Strömung gefährlicher. Dabei haben wir ein paar wirklich schöne Ecken hier auf der Insel, Orte, wo kein Wind an dir reißt und wo es nicht nach verwesendem Fisch stinkt. Aber wann immer wir eines unserer seltenen Picknicke veranstalten, geht es an diese Wüste von einem Strand, an dessen Rand das Meer lauert wie ein zotteliger grauer Hund, der aufspringt und loskläfft, sobald man ihm zu nahe kommt.
    Ich betrachte die lichten Schaumkrönchen auf den Wellen und versuche mir vorzustellen, was passieren würde, wenn irgendjemand den Stöpsel auf dem Grund der See zöge und die Fluten versickern ließe. Während die Geräusche um mich herum nach und nach immer leiser werden, scheinen sich die Wassermassen vor mir tatsächlich zurückzuziehen. Natürlich weiß ich, dass sich all das allein in meiner Phantasie abspielt, aber es wirkt so real, dass ich einfach losgehe, dem ablaufenden Meer nach.
    Ich stelle mir die Gebirgslandschaften und Schiffswracks vor, die zum Vorschein kommen, wenn sich das Wasser erst einmal weit genug zurückgezogen hat, und überlege, ob sie überhaupt zu sehen wären unter den Bergen von totem Fisch, die die ablaufenden Fluten zweifellos zurücklassen würden.
    Plötzlich fühle ich eine Hand, die an mir reißt, und die Stimme meines Vaters brüllt mir ins Ohr: »Verdammt noch mal, Laura, hast du jetzt völlig den Verstand verloren? Zieh gefälligst erst mal die Schuhe aus!«
    Ich erschrecke mich fast zu Tode. Über den Lärm, den mein Vater macht. Und auch über die Tatsache, dass ich bereits bis zu den Knien im Wasser stehe. Die Wellen lecken an meinen nackten Beinen, und wie immer, wenn ich mit dem Meer in Berührung komme, habe ich das Gefühl, dass es mich mit sich fortzieht. Der sandige Boden unter meinen Füßen ist beständig in Bewegung, und auf einmal merke ich, wie ich den Halt verliere. Doch
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