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Blut Von Deinem Blute

Titel: Blut Von Deinem Blute
Autoren: Silvia Roth
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Elsbeth Krüger zögerte und entschied sich nach kurzem Überlegen für einen mehr oder weniger unverbindlichen Überbegriff: »... Britin?«
    Laura nickte.
    »Donnerwetter, das hört man gar nicht.«
    »Danke.«
    »Nein, wirklich, Ihr Deutsch ist ganz ausgezeichnet.«
    Ja, dachte Laura mit einem ironischen Lächeln, du mich auch! Dann streifte sie sich demonstrativ den Kopfhörer ihres iPods über.
    Ihr Vater hatte von Beginn an viel Wert darauf gelegt, dass Mia und sie Deutsch sprachen, vielleicht, weil er sich seinem eigenen Vater gegenüber dazu verpflichtet fühlte. Als uneheliches Kind einer Einheimischen und eines deutschen Besatzungssoldaten war Nicholas Bradley als Kind viel gehänselt worden, und Laura hatte immer den Verdacht gehegt, dass ihr Vater in erster Linie aus Trotz so penibel Deutsch sprach. Sie erinnerte sich gut daran, wie lästig es ihr früher gewesen war, wenn er sie wegen jeder Kleinigkeit verbessert oder ihren Akzent gerügt hatte. Doch irgendwann war auch ihr bewusst geworden, dass die Sprache ihres Großvaters eine ausgezeichnete Möglichkeit bot, sich von den verhassten »Toads« – wie die Bewohner Jerseys wegen der dort heimischen Kröten scherzhaft genannt werden – abzusetzen.
    Also hatte sie Deutsch gesprochen. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit.
    Sie hatte sich systematisch durch die Kiste mit deutschen Romanen und Geschichtsbüchern gearbeitet, die sie auf dem Dachboden des Herrenhauses entdeckt hatte. Sie hatte das wenige Geld, das sie sich mit kleinen Handlangerdiensten im Hotel verdient hatte, in ein deutsches Wörterbuch investiert. Und ganz allmählich war die Heimat ihres Großvaters in ihrer Vorstellung zu einer Art gelobtemLand avanciert, in das sie eines Tages flüchten würde. Ein stiller, friedlicher Ort, an dem es keinen Wind gab. Laura sah wieder aus dem Fenster, lächelnd über die Naivität, die diesem Gedanken innewohnte. Aber wenigstens hatte sie ein Ziel gehabt, damals. Sie hatte immer Ziele gehabt, Ziele, seit sie denken konnte. Erwachsen werden und von der Insel fort zuerst. Dann Karriere machen. Die schicke Atelierwohnung über den Dächern von Frankfurt. Das Cabriolet. Alles Ziele, für die sie gekämpft und die sie irgendwann erreicht hatte.
    Und jetzt? Sie starrte auf die unaufhaltsam näher kommende Landebahn, die aussah, als führe sie über die Klippen hinaus, geradewegs ins Meer. Was wollte sie jetzt?
    Die Wahrheit, dachte sie bitter. Endlich die Wahrheit. Ich will wissen, wer ich bin. Nein: Was ich bin.
    Ambitioniert, flüsterte eine hässliche kleine Stimme irgendwo in ihrem Kopf. Laura ist ambitioniert.
    Madame Bresson, ihre Stiefmutter, hatte das Wort kurz nach ihrem Einzug eingeführt, daran erinnerte sie sich, auch wenn ihr der genaue Zusammenhang nicht mehr präsent war. Natürlich hatte sie damals noch gar nicht gewusst, was das bedeutete, ambitioniert. Aber so, wie Madame Bresson das Wort betont hatte, war ihr klar gewesen, dass es kaum etwas Positives ausdrücken konnte. Nachdem ihr der Begriff ein paar Mal untergekommen war, hatte sie ihn schließlich in einem Wörterbuch nachgeschlagen und herausgefunden, dass »ambitioniert« so viel wie »ehrgeizig« bedeutete, was für sich genommen ja nichts Schlechtes war. Aber der Unterton, den Madame Bresson dem harmlosen kleinen Wort mit auf den Weg gegeben hatte,hatte eine andere Sprache gesprochen. Ambitioniert bedeutete definitiv nichts Gutes!
    Laura zuckte zusammen, als das Fahrwerk der Chartermaschine auf der Landebahn aufsetzte.
    Der Tower auf Jersey melde sechsundzwanzig Grad im Schatten, verkündete der Pilot über Bordlautsprecher, eine Information, die Elsbeth Krüger neben ihr mit einem wohligen Seufzer quittierte. Es war eigentlich undenkbar, aber die meisten Menschen, die mit ihr in dieser Maschine saßen, kamen anscheinend tatsächlich freiwillig nach Jersey. Sie kamen her, weil sie sich erholen wollten und weil es ihnen hier gefiel. Hier, im ewigen Wind ... Laura schluckte und suchte ihre Handtasche nach einem Pfefferminz ab, während ihre Mitreisenden wie auf ein geheimes Kommando hin in Bewegung gerieten, Bücher und Laptops verstauten und ihre Sachen zusammenrafften. Die Erkenntnis, dass es nun keinen Weg mehr zurück gab, verstärkte die Übelkeit, mit der sie sich bereits früher an diesem Tag herumgeschlagen hatte. Erst kurz vor dem Abflug hatte sie sich noch in eine von diesen sterilen weißen Flughafentoiletten übergeben. Schwanger oder bulimisch, hatte der Blick der
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