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Finnischer Tango - Roman

Finnischer Tango - Roman

Titel: Finnischer Tango - Roman
Autoren: Taavi Soininvaara
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PROLOG
    Irak im Jahre 2003
    Die nackte Gestalt hing am Deckenventilator, die Hände an den Flügeln festgebunden, und drehte sich langsam im Kreise. Der Mann wartete, gleich würde es geschehen, jeden Moment konnte seine Qual beginnen. Auf dem Gang im Kriegsgefangenenlager Camp Bucca hallten die angstvollen Schreie der Gefangenen und die wütenden oder belustigten Rufe der britischen Soldaten wider, und die Wachhunde kläfften.
    Er schrie vor Schmerz, als die Schwefelsäuretropfen seine Unterschenkel wie tausend glühende Nadeln trafen, die Muskeln verkrampften sich, und das Zwerchfell zog sich zusammen, aber im Magen war nichts mehr, was er hätte erbrechen können. Der Geruch der von der Säure verbrannten Haut stieg ihm durch den Stoff der über seinen Kopf gezogenen Kapuze in die Nase. Dann rollte eine neue Welle des Schmerzes über ihn hinweg, als Seifenwasser auf seine Beine geschüttet wurde; es reagierte mit der Säure und brannte zunächst wie Feuer, doch allmählich ließ das Brennen nach.
    Konzentriere dich, beschäftige dein Gehirn …
    An den Schmerz gewöhnte man sich nie, aber er glaubte ihn jetzt bedeutend besser auszuhalten als vor vierundneunzig Tagen; damals hatte das erste Mal ein Elektroschock seinen Körper erschüttert. Oder bildete er sich das nur ein? Sein Gedächtnis fütterte ihn mit Informationen: Der Schmerz ist eine subjektive Erfahrung und lässt sich nicht messen. Die Intensität des Schmerzes, den ein andererMensch empfindet, kann man nur durch die Beobachtung seines Verhaltens beurteilen: Wie spricht, weint, schreit er, zieht er sich zurück, oder hinkt er, welche Medikamente nimmt er … Der Schmerz hängt mit einer Gewebeschädigung oder der Gefahr einer solchen zusammen. An den freiliegenden Nervenenden wird ein Schmerzsignal ausgelöst, das ins zentrale Nervensystem übertragen und dort auf verschiedenen Ebenen umgewandelt wird. Es entsteht das Schmerzempfinden …
    »Rede, Gefangener! Rede oder stirb!«, rief die Soldatin vergnügt auf Englisch, begleitet vom pausenlosen, immer wütenderen Bellen der Schäferhunde, das von den kahlen, graugelben Gefängniswänden vervielfacht wurde. Er sah das zu einem Grinsen verzerrte Gesicht der Frau deutlich vor sich, obwohl unter der Kapuze völlige Dunkelheit herrschte.
    Konzentriere dich, denk nicht an den Schmerz …
    Gab es irgendjemanden, dessen Leben sich genauso schnell und total geändert hatte wie seines? Noch vor drei Monaten hatte er mit seinen Eltern und seinen zwei jüngeren Schwestern in Adhamiyah gelebt, einem Vorort Bagdads für die obere Klasse, er war Wissenschaftsminister der Regierung gewesen und hatte zum beneideten engsten Kreis Saddams gehört. Nach dem Beginn des Angriffs der Koalition hatte er sich mit seiner Familie zu Hause verschanzt. Einigen Glücklichen gelang es noch rechtzeitig, zu fliehen und das Land zu verlassen, ihnen jedoch nicht.
    Von den Bomben blieben sie verschont, und als die US-Truppen am 5. April in Bagdad einmarschierten, glaubten sie schon, das Schlimmste überstanden zu haben. Doch dann begannen die Verhaftungen: Die Amerikaner wussten, wo Saddams Leute wohnten, und holten einen nach dem anderen zum Verhör. Es gelang ihm, aus Bagdad zu fliehen, er versuchte den Hafen von Umm Qasr und die kuweitischeGrenze zu erreichen, aber britische Soldaten stoppten ihn und seine Begleitung in der Nähe von Basra und steckten ihn in diesen Vorhof der Hölle – ins Camp Bucca. Ein paar Wochen nach seiner Gefangennahme erfuhr er, dass sein Zuhause noch am Tag seiner Flucht aus Bagdad gesprengt und seine Familie ermordet worden war. Er hatte Sehnsucht nach seinen Eltern und Schwestern.
    Eine eiskalte Dusche traf ohne Vorwarnung seinen Körper mit so hohem Druck, dass es schmerzte. Er saugte Wasser aus dem Stoff der Kapuze und bekam einen feuchten Mund, aber der Durst wurde nur noch schlimmer.
    Die Briten folterten ihn, weil der Widerstand auf den Straßen Bagdads und überall im Land weiterging, obwohl die eigentlichen Kampfhandlungen längst beendet waren. Die ihn verhörten, wollten wissen, was Saddams engster Kreis in den Monaten, als der Sturz des Diktators näher rückte, geplant hatte, wer den Widerstand der Iraker anführte, was die Aufständischen anstrebten.
    Die Briten wussten, dass im Irak die Autorität der Oberhäupter alter Familienclans bei jedem Umsturz noch größer wurde, und seine Familie war eine der ältesten und einflussreichsten im Land und in der ganzen arabischen Welt. Unter seinen
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