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Blut Von Deinem Blute

Titel: Blut Von Deinem Blute
Autoren: Silvia Roth
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kaltem, unberechenbarem Wasser. Laura merkte, wie sich eine feine Gänsehaut über ihren Körper breitete. Sie dachte an ihre Wahlheimat Frankfurt, ein Moloch nimmermüder Hektik, gut doppelt so groß wie dieser grüne Granitfelsen dort unter ihnen und Heimat von siebenmal mehr Menschen, beruhigende Anonymität.
    »Du liebe Zeit, ist Ihnen kalt?« Allein die Art, wie ihre Sitznachbarin fragte, verriet, dass sie diese Möglichkeit im Grunde für ausgeschlossen hielt. Schließlich waren sie auf dem Weg ins Paradies. Da hatte man nicht zu frieren.
    Trotzdem nickte Laura.
    »Das liegt an diesen fürchterlichen Airconditions«, befand die Frau, froh, etwas entdeckt zu haben, das ihrem Inselenthusiasmus keinen Abbruch tat. Und mit einem aufmunternden Lächeln fügte sie hinzu: »Aber warten Sie nur, bis wir gelandet sind. Das Klima auf Jersey ist der reinste Balsam.«
    Tja, dachte Laura sarkastisch, sofern man Wind und Salz und Leichen mag ...
    Dann sah sie wieder aus dem Fenster, wo die Insel unaufhaltsam näher kam. Als das Flugzeug kurz nach dem Abheben die dichte Nebeldecke über dem Rheinland durchbrochen hatte und das glitzernde Lichtermeer der Großstadt hinter den Wolken zurückgeblieben war, wäre sie am liebsten aufgesprungen und hätte »Stopp! Anhalten! Ich will zurück!« geschrien. Doch da ihr Aufsehen in jeder Form schon immer zuwider gewesen war, hatte sie lediglich die Finger um die Armlehnen ihres Sitzes gekrallt undversucht, sich einzureden, dass sie den Flughafen ihrer Heimatinsel ja gar nicht erst zu verlassen brauchte, wenn es zu schlimm wurde. Dass sie einfach in diesem Niemandsland zwischen britischem Staatsgebiet und Nirgendwo ausharren konnte, bis die nächste Maschine zurück ging. Zurück oder irgendwo anders hin. Jedenfalls weg von diesem jämmerlichen Felsen mitten im Meer, den man rein theoretisch an einem einzigen Tag mit dem Fahrrad umrunden konnte.
    »Seit wir vor neun Jahren zum ersten Mal in St. Helier waren, komme ich jedes Jahr wieder her.« Ihre Sitznachbarin stemmte ihre Massen weit aus dem Sitz, um besser sehen zu können. »Damals lebte mein Mann noch, wissen Sie, und wir haben uns beide auf der Stelle in dieses herrliche Fleckchen Erde verliebt.«
    »Wie schön für Sie«, entgegnete Laura in der Hoffnung, ihre Gesprächspartnerin durch die unüberhörbare Ironie in ihrer Stimme von weiteren Konversationsversuchen abzuhalten.
    Doch die Frau dachte überhaupt nicht daran, sich so schnell ins Bockshorn jagen zu lassen. »Und Sie?«, fragte sie begierig. »Waren Sie schon mal auf den Islands?«
    Laura bejahte.
    »Geschäftlich oder auf Urlaub?«
    »Weder noch«, antwortete Laura und ärgerte sich gleichzeitig darüber, dass sie nicht einfach gelogen hatte. Lügen war so viel leichter.
    »Ah.« Die Miene ihrer Sitznachbarin spiegelte blankes Unverständnis. »Und wissen Sie schon, wo Sie wohnen werden?«
    Ich glaube kaum, dass es dich irgendwas angeht, ob ichcampe oder in der Suite eines Luxushotels absteige, dachte Laura entnervt. Laut sagte sie: »St. Brelade.«
    »St. Brelade, wirklich?«, rief die Frau begeistert. »Oh, aber dann müssen Sie unbedingt einen Ausflug zu dieser Lavendelfarm oben an der B25 machen. Ich sage Ihnen, ich gehe nie aus diesem Laden raus, ohne mindestens zwei Tüten voller Souvenirs gekauft zu haben. Mein Mann hat es gehasst, wenn wir auf der Rücktour immer so viel schleppen mussten. Aber es gibt einfach nichts, was so herrlich nach Sommer duftet wie frischer Lavendel, finden Sie nicht auch?«
    »Nein«, versetzte Laura, der die Sache allmählich zu bunt wurde. »Von dem Geruch ist mir schon als Kind übel geworden.«
    Die Frau starrte sie an, als habe sie den Verstand verloren. »Nun ja«, stammelte sie, »das ist natürlich ... Ich meine ... Aber andererseits ist es ja gut, dass die Geschmäcker verschieden sind, nicht wahr?« Sie brach ab und streckte Laura – vermutlich aus purer Verlegenheit – eine ihrer üppig beringten Hände entgegen. »Elsbeth Krüger. Ich habe eine Spielwarenhandlung in Stuttgart.«
    Laura erwog ernsthaft, die vertrauliche Geste einfach zu ignorieren. Aber sie wusste aus langer, schmerzvoller Erfahrung, dass man neugierige Menschen nur umso neugieriger machte, wenn man ihren – alles in allem tatsächlich harmlosen – Fragen mit einer Totalverweigerung begegnete. »Laura Bradley«, antwortete sie schicksalsergeben, wobei sie, entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit, auch ihren Vornamen englisch aussprach.
    »Ach, Sie sind ...«
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