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Blut Von Deinem Blute

Titel: Blut Von Deinem Blute
Autoren: Silvia Roth
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außerdem kann ich den Jungen hier viel besser im Auge behalten, als wenn er zwischen Hunderten von Touristen herumspringt.«
    Was nicht stimmte.
    Aber er hielt nun mal nichts davon, zu viel Angst zu haben. In aller Regel konnte Angst sowieso nicht verhindern, dass geschah, was geschehen sollte. Sie nahm einem nur den Spaß am Leben.
    Er umrundete eine Felsgruppe, und zu seiner Erleichterung entdeckte er seinen Enkel nur wenige Meter entfernt im Gespräch mit einem jungen Mann. Und wie immer, wenn sich ein Fremder einem Kind näherte, meldeten sich augenblicklich Hearings Instinkte.
    Der Fremde war groß und schlank, und sein an und für sich eher dunkles Haar hatte einen warmen Goldschimmer.
    »Hi, Opa.« Das Rot auf Cedrics Wangen verriet, dass er ganz genau wusste, wie sehr sein Großvater es hasste, wenn er außer Sichtweite geriet. »Schau mal, wen ich kennengelernt habe.« Er griff nach der Hand des Mannes und zerrte daran wie an einem Stofftier, das sich irgendwo verklemmt hatte.
    »Guten Tag.«
    »Tag.« Jason Hearing kniff prüfend die Augen zusammen. »Haben wir uns schon mal irgendwo gesehen?«
    Der junge Mann zuckte die Achseln. Er mochte etwa neunzehn oder zwanzig Jahre alt sein. »Nicht, dass ich wüsste.«
    Der ehemalige PPU-Mann musterte das klare Profil und die großen, tiefblauen Augen. »Tourist?«
    »Fast.«
    »Und das heißt im Klartext ...?«
    »Meine Mutter ist hier aufgewachsen.«
    Natürlich! Jetzt wusste er auch endlich, wohin er die Ähnlichkeit stecken sollte! Aber hatte Laura Bradley nicht graue Augen gehabt? Hellgrau? Hearing betrachtete den jungen Mann mit neuem Interesse. »Ich glaube, ich erinnere mich an Ihre Mum.«
    »Wirklich?«
    »Ja.« War es tatsächlich möglich, dass ihn das wunderte? »Wie geht's ihr?«
    »Gut.« Er sah auf seine Armbanduhr. »Vermutlich steht sie gerade ein paar Hundert Kilometer von hier in irgendeinem viel zu teuren Laden, um das Kleid für den Abi-Ball meiner Schwester auszusuchen.«
    »Immer noch in Frankfurt?«
    Der junge Mann schüttelte den Kopf. »Wir sind nach Berlin gezogen, als ich ungefähr vier war. Mein Vater hat da einen Forschungsauftrag angenommen.«
    Hearing hielt sich mit Mühe zurück, zu fragen, ob die Ehe seiner Eltern glücklich war. »Und Sie?«, erkundigte er sich stattdessen. »Studieren Sie?«
    »Tja, wenn's nach meiner Mutter ginge, würde ich daswohl.« Das Gesicht des Fremden nahm einen spöttischen Ausdruck an. »Ich hab ein Stipendium für Barcelona.«
    »Ein Stipendium?«
    Er nickte. Gelangweilt beinahe. »Für die Kunstakademie. Aber ich schätze, ich werd's nicht annehmen.«
    »Warum nicht?«
    Der junge Mann schwieg, als müsse er sich erst selbst schlüssig werden über seine Gründe. »Ich weiß nicht genau«, sagte er nach einer Weile. »Aber ich habe das Gefühl, dass ich das, was ich sagen möchte, erst noch erleben muss.«
    Hearing runzelte die Stirn.
    »Nächste Woche fliege ich nach Vietnam.« Er schien es für nötig zu halten, noch mehr zu sagen. Aber es klang trotzdem nicht wie eine Rechtfertigung. »Von dort aus will ich mit dem Rucksack nach Norden. China und die Mongolei. Vielleicht auch Nepal. Mal sehen.«
    »Tja dann ...« Hearing griff nach der Hand seines Enkels. »Viel Glück und eine gute Reise.«
    »Danke.« Das Lächeln des Mannes sah aus, als ob er mit sich im Reinen wäre. »Ihnen auch alles Gute.«
    Dann drehte er sich um und ging mit langen, sicheren Schritten auf die Dünen zu.
    Cedric, der die ganze Zeit über den Mund gehalten hatte – was sehr ungewöhnlich für ihn war –, blickte ihm in kindlicher Faszination nach. »Jetzt habe ich ganz vergessen zu fragen, wie er heißt«, murrte er.
    »Josh«, sagte Hearing leise.
    Sein Enkel sah ihn tief beeindruckt an. »Woher weißt du das?«
    Jason Hearing beugte sich zu ihm hinunter und flüsterte:»Soll ich dir was verraten? Ich weiß es gar nicht.« Und mit einem verschmitzten Lächeln fügte er hinzu: »Aber ich bin mir ziemlich sicher.«
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