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Blut Von Deinem Blute

Titel: Blut Von Deinem Blute
Autoren: Silvia Roth
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einmal irgendwo gesehen hatte.
    . .. aber ich kann Ihnen leider nicht ersparen, Ihnen mitzuteilen ...
    Seine Stimme war tief, und sie überlegte, wie es wohl klingen würde, wenn er »Ol' Man River« sänge. Nein, dachte sie, es muss »Sea« heißen, »Ol' Man Sea«. Oder war die See am Ende doch eine Frau? Ihr Hirn krallte sich an dem Gedanken fest, und es gelang ihr tatsächlich, ein paar verstreute Klänge inmitten des Chaos in ihrem Kopf auszumachen.
    ... dass Ihre Schwester ...
    »Ach du Scheiße«, flüsterte sie durch die Lücke, die die Schwellung an ihrer Lippe von ihrem Mund übrig gelassen hatte. »Das Atelier! Sie wird fürchterlich wütend werden, wenn sie sieht, was ich dort angerichtet habe. Das konnte sie schon als Kind. Wütend werden, meine ich ...«
    Es tut mir leid. Wirklich . ..
    »Aber sie ist harmlos«, fügte sie eilig hinzu, während ihre Hand endlich ihren Mund zu fassen bekam. Sie hatten sie genäht. Die Lippe, nicht Mia.
    Sie blinzelte zu ihm hinauf, um zu sehen, ob er sie verstanden hatte. Seine Augen waren wie Kohlen. Es sind eigentlich fast immer die Augen, dachte sie verwundert. Hellblau und skeptisch oder tiefseeschwarz.
    Ihre Schwester hat einen ...
    »Nein, nein, sie ist unschuldig«, fiel sie ihm hastig ins Wort. Oder hatte sie das schon gesagt? »Es war meine Tante, wissen Sie? Sie hat Bratäpfel für uns gemacht und meine Mutter getötet. Aber mein Vater ist an gebrochenem Herzen gestorben. Dabei habe ich immer gedacht, man hätte ihm den Schädel eingeschlagen.«
    Gibt es irgendjemanden, den wir verständigen sollen? Einen Freund vielleicht?
    »Leon!« Sie versuchte ein Lächeln. »Leon de Winter.«
    Die schwarzen Augen veränderten ihren Ausdruck. Bildete sie sich das ein, oder konnte er tatsächlich etwas mit diesem Namen anfangen? Sie schielte an ihm vorbei zum Fenster. Davor hing eine auf Lücke gestellte Jalousie. Dahinter schien Nacht zu sein. Ihre Augen suchten die Decke über ihrem Kopf. Wo war die Uhr?
    Haben Sie vielleicht eine Telefonnummer für uns?
    »Oh ja, na klar, ich habe Leons Telefonnummer. Obwohl er sich gar nicht in Luft aufgelöst hat. Im Gegenteil. Er weiß sogar meinen Geburtstag. Und das, obwohl er überhaupt nicht gern in Gesellschaft ist. Also in oberflächlicher. Sie wissen schon: sogenannte Freunde, die hinterher behaupten, man sei ein Flittchen.«
    Wie bitte?
    Sie schluckte. »In meiner Handtasche, falls Sie die irgendwo finden.«
    Wir lassen Sie jetzt ein bisschen schlafen.
    »Wir? Wer ist wir? Wo sind die anderen?«
    Morgen früh wird Ihnen ein Kollege dann noch ein paar Fragen stellen.
    Morgen früh? Morgen früh war sie längst auf dem Heimweg. Vielmehr: auf dem Weg nach Hause. Ins windstille Frankfurt, falls man sie da noch wollte. Sie überlegte, ob sie ihm das sagen sollte, aber sie hatte Angst, dass er sie daran hindern würde, die Insel zu verlassen. Und das konnte sie auf keinen Fall riskieren. Also sagte sie nichts. Und überhaupt: Wie sollte sie denn irgendwelche Fragen beantworten? Sie wusste doch nichts. Und nichts war so, wie es schien.
    Also ruhen Sie sich erst einmal aus und ...
    »Halt! Stopp! Warten Sie! Jemand muss die Fische füttern!«
    Verzeihung?
    »Sie müssen unbedingt daran denken, die Fische zu füttern«, wiederholte sie. »Sie sterben sonst. Und dann lassen sie sich nicht mehr gut vermalen ...«
    Wir kümmern uns darum.
    In seinen Augen lag etwas, das wie Mitleid aussah. Aberdas konnte genauso gut ein Trick sein. Deshalb nickte sie besser nur und hoffte, dass er sie nicht anlog, was die Fische betraf.
    Schlafen Sie jetzt ...

12
    Am frühen Morgen hatte es wieder zu regnen begonnen. Immer neue Schleier von Nieselregen zogen über das Meer hinweg und ließen den Übergang zwischen Himmel und Wasser verschwimmen. Jede Kontur, jede Linie schien verschwunden zu sein, ausradiert, weich gezeichnet, und die Welt bestand nur noch aus fließenden grauen Übergängen. Sehr ungewöhnlich für die Kanalinseln, hatte Leon beim Frühstück jemanden sagen hören, und er dachte, dass diese äußere Formlosigkeit den Eindruck unüberwindlicher Weite noch verstärkte.
    »Wissen Sie, ich bin froh, dass mich mein Eindruck damals nicht getäuscht hat.« Detective Superintendent Lionel Archer zog sich die dunkelblaue Windjacke enger um den Körper und blickte an Leon vorbei in die grauen Fluten. »Hat mich mächtig beschäftigt, die Sache.«
    Leon nickte. Er hatte Archer noch in der Nacht angerufen, gleich nachdem er Nummer vierzehn auf sein
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