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Blut Von Deinem Blute

Titel: Blut Von Deinem Blute
Autoren: Silvia Roth
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älteren Dame geurteilt, die zeitgleich mit ihr aus der Nachbarkabine getreten war, und Laura hatte sich verraten gefühlt in diesem Augenblick. Verraten von sich selbst. Gab es eigentlich Menschen, die leise kotzen konnten?
    »Oh, keine Sorge, diese Phase haben Sie bald überstanden. Den meisten Frauen geht es gegen Ende des dritten Monats schon wieder deutlich besser.«
    Sie hatte ihre Gynäkologin angestarrt und irgendetwas Idiotisches gesagt. »Was soll das heißen? Das ist vollkommenunmöglich. Sie müssen sich irren!« Unnütze, verzweifelte Einwände gegen das eindeutige Ergebnis auf dem Zettel, der vor der Ärztin auf dem blank polierten Mahagonischreibtisch lag. »Ich habe immer aufgepasst.«
    Ein vielsagendes Lächeln. »So etwas kommt vor ...«
    Lauras Finger spielten mit den Enden ihres blassblauen Seidenschals. Mutterschaft war etwas, das sie für sich selbst, seit sie denken konnte, immer kategorisch ausgeschlossen hatte. Inzwischen war sie vierunddreißig und konnte guten Gewissens behaupten, zu keinem Zeitpunkt ihres Lebens den Wunsch nach einem Baby verspürt zu haben. In ihrem Bekanntenkreis gab es Kinder, die sie mochte, und weitaus mehr Kinder, die sie nicht mochte. Einige ihrer Kolleginnen hatten Söhne oder Töchter, von denen sie sprachen, wenn sie von heute auf morgen einen Tag Urlaub brauchten oder zu spät zu einer Besprechung kamen. Kinder, die ihre Tage in irgendwelchen Horten verbrachten und deren Fotos auf den Schreibtischen ihrer Mütter auf gespenstische Art und Weise gealtert zu sein schienen, wenn man sie ein paar Wochen nicht beachtet hatte.
    Alternde Babyfotos sind das Letzte, was ich brauche, dachte Laura, während die alte Wut sie unvermittelt wieder ankroch.
    »Was haben Sie jetzt vor?«, hatte ihre Gynäkologin gefragt. Sachlich zwar, aber doch mit deutlicher Missbilligung darüber, dass es ihr so gar nicht gelungen war, die der frohen Botschaft gebührende Freude zu heucheln. »Sie sollten nichts übereilen.«
    Laura hatte ihre Handtasche genommen und das Sprechzimmer verlassen. Am nächsten Morgen hatte sie inder Praxis angerufen, um ein Attest über die bestehende Schwangerschaft gebeten und sich einen Termin bei einer Konfliktberatungsstelle geben lassen, wo ihr eine bemühte Dame mittleren Alters die verschiedenen Alternativen zu einem Schwangerschaftsabbruch aufgezeigt hatte. An den genauen Verlauf des Gesprächs konnte sie sich nicht erinnern. Nur daran, dass von irgendwoher Kinderstimmen an ihr Ohr gedrungen waren. Irgendein altmodischer Abzählreim.
    Ehne, mehne, muh – und tot bist du . ..
    »Weiß der Vater davon?«
    Erst diese Frage hatte sie aufgeschreckt, weil sie bis zu diesem Moment tatsächlich nicht auf den Gedanken gekommen war, dass Leon etwas mit der Entscheidung zu tun haben könnte, die sie zu treffen hatte. Sie war schwanger geworden. Sie wollte kein Kind. Sie hatte alles Notwendige in die Wege geleitet. Warum um alles in der Welt hätte sie Leon informieren sollen?
    Weiß der Vater davon?
    Das Gesicht der bemühten Beraterin flimmerte vor ihr im Grau des Rollfeldes, und selbst jetzt, mehr als achtundvierzig Stunden nach dem Gespräch, kam ihr die Frage der Frau irgendwie absurd vor. Leon und sie kannten einander nun beinahe zwei Jahre. Er war Historiker, hatte eine Professur an der Frankfurter Universität und schrieb darüber hinaus regelmäßig für einen kleinen Wissenschaftsverlag, der im selben Gebäudekomplex untergebracht war wie Lauras Agentur. Er war ihr aufgefallen, weil er so interessante Augen hatte – eine eigenwillige Mischung aus hellblau und skeptisch –, und natürlich hatte sie schnell herausgefunden, dass sie in keiner Weise zueinander passten.
    Leon war ein unverbesserlicher Idealist, einer, für den die Gegenwart nicht viel mehr als ein Durchgangsstadium darstellte und der Stunde um Stunde damit vertun konnte, längst vergangene Strukturen und Vorgänge zu analysieren, um aus den gewonnenen Erkenntnissen irgendwelche – in der Regel negative – Prognosen für die Zukunft abzuleiten.
    Laura hingegen war schon immer der Ansicht gewesen, dass die Gegenwart, der Augenblick, das Einzige war, auf das man sich halbwegs verlassen konnte. Warum sie sich trotz allem mit Leon de Winter eingelassen hatte, wusste sie rückblickend nicht mehr zu sagen. Wahrscheinlich hatte sie einfach ihren Spaß haben wollen, so wie mit vielen anderen vor ihm. Aber Leon hatte ihr keinen Zettel mit seiner Handynummer in die Hand gedrückt und war
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