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Blut und Kupfer

Blut und Kupfer

Titel: Blut und Kupfer
Autoren: C Wilken
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die Kinder ihrer nicht länger bedurften, wusste Marie, dass Leonhart ihrer verstorbenen Mutter Hortense zärtlich zugetan und in ihrer Gegenwart ein heiterer Mann gewesen war. Mit ihr ist die Sonne aus meinem Leben verschwunden, hatte er oft gesagt, und noch heute meinte Marie sich an seine ernsten Augen zu erinnern, die sie mit stummem Vorwurf anklagten.
    Zögernd stand Marie vor dem rundbogigen Durchgang. Durch ein winziges Fenster sah sie, dass ein Bote auf den Hof geritten kam. Da sie keine Nachrichten erwartete, nahm sie ihren Mut zusammen und ließ die eiserne Löwenpfote gegen das Türschild fallen.
    »Wer ist da?«, fragte nach einer schier endlosen Weile ihr Oheim.
    »Marie, aber ich kann später wiederkommen, wenn …«
    »Nein. Wartet!«
    Aras schnupperte an einem Haufen Mäusedreck. Auf der anderen Seite der massiven Eichentür machte sich Remigius an den Riegeln zu schaffen. Endlich zog er die Tür auf. Ein Schwall schwefelhaltiger Luft quoll heraus und ließ Marie husten.
    »Uh, das ist widerwärtig! Und überhaupt, wenn Ihr Euch derartig verbarrikadiert, kommt Ihr irgendwann selbst nicht mehr heraus! Was verbergt Ihr? Eine Kiste voller Gold? Aber nein!« Sie hob triumphierend den Finger. »Den Stein der Weisen!«
    Remigius zog die buschigen Augenbrauen nach oben und zeigte auf Aras. »Er darf nichts auflecken oder fressen, was herumliegt. Gebt acht! Ich habe Euch gewarnt.«
    Der Alte verriegelte die Tür sorgfältig hinter ihr. Neugierig sah Marie sich um. Entlang der Wendeltreppe, die sich nach oben verjüngte und in drei verschieden große Räume führte, war die Wand mit fremdartigen Schriftzeichen und Bildern bedeckt. Sie erkannte Sonnen und Planetensysteme, Dreiecke, Zirkel, Bäume und unbekannte Schriftzeichen. »Ich habe es doch gewusst. Ihr seid ein Alchemist!«
    Remigius stieg vor ihr die Stufen hinauf. »Ein Steinschneider bin ich! Zum Teufel, schreibt Euch das hinter die Ohren!«
    »Ich entsinne mich eines Besuchs in der Münchner Residenz. Da habt Ihr in der Werkstatt des Herzogs gearbeitet.« Vor Hortenses Tod waren die Kraibergs regelmäßig in München gewesen, doch dann hatte sich ihr Vater Leonhart vom Hofleben und von seinen offiziellen Ämtern zurückgezogen, um sich ausschließlich der Leitung des Gutes zu widmen. Gelegentlich schimpfte er über die verschwenderische Regierung von Wilhelm V., dessen prunkvolle Hofhaltung, große Bauvorhaben und Ansammlungen von Kunstschätzen dem Land fast sechs Millionen Gulden Schulden bescherten. Mit der Abdankung Wilhelms zugunsten seines Sohnes Maximilian im Jahre des Herrn 1597 wurden neue Zeiten im Herzogtum Bayern eingeläutet. Leonhart und der übrige Adel des Herzogtums mussten feststellen, dass der junge Herzog Reformen einführte, die auch an der bis dato privilegierten Stellung des Adels rüttelten. So wurden Hofämter, die traditionell der Adel besetzt hatte, nun auch Juristen zugänglich gemacht, eine Veränderung, die dem standesbewussten Leonhart stets ein Dorn im Auge blieb.
    Marie hatte nie erfahren, warum ihr Vater bis zu seinem Tode kein Wort über seinen Bruder verloren hatte.
    »Ich war ein guter Steinschneider. Warum sollte ich nicht in der Residenz gearbeitet haben?«, kam es barsch von Remigius.
    »Oheim, verzeiht, ich war noch so jung damals, und dann bin ich fortgegangen, und Vater hat nie über Euch gesprochen.« Sie dachte an die wenigen kurzen Briefe, die sie während ihrer Ehe aus Kraiberg erhalten hatte.
    Remigius murmelte in seinen Bart und deutete auf den Eingang zum ersten Raum. Durch die schmalen, hohen Fenster schien die Morgensonne auf Regale, die mit den absonderlichsten Dingen gefüllt waren, und in der Mitte stand ein Tisch mit wissenschaftlichen Instrumenten, jedenfalls war das Maries erster Eindruck. Sie trat näher.
    »Ein, oh, wie war der Name? Mein Vater hatte einen Stein wie diesen dort!«, rief sie aus und starrte auf den gelblich grauen Klumpen, der die Form eines Katzenschädels hatte.
    »Ein Bezoar. Er gehörte Eurem Vater. Hätte ich ihn nicht hier mit den anderen Kleinodien versteckt, Albrecht hätte ihn längst versilbert.« In Remigius’ Stimme schwangen Bitterkeit und Verachtung mit, doch als sie ihn ansah, meinte sie außerdem eine tiefe Traurigkeit in seinen Augen zu sehen.
    »Der Magenstein einer asiatischen Bezoarziege.« Remigius beobachtete, wie Marie über die unebene Oberfläche des organischen Kuriosums strich.
    »Vater hat uns erzählt, dass es dreimal so wertvoll ist wie Gold, und
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