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Blut und Kupfer

Blut und Kupfer

Titel: Blut und Kupfer
Autoren: C Wilken
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mache.«
    Überrascht starrte sie ihn an. Remigius schlurfte zur Tür. Er hielt den Knauf bereits in der Hand. »Oder Ihr lest Drexels Machwerk. Sehr erbaulich.« Mit lautem Krachen fiel die Tür hinter dem alten Sonderling zu, und Marie verschluckte sich an ihrem Ei.
    Gesättigt und den letzten Tropfen Honigmilch auf den Lippen verließ Marie kurze Zeit später die Bibliothek. Vor der Tür wäre sie fast über Aras gestolpert, der dösend auf sie wartete. Von Vroni war nichts zu sehen, und aus der Küche drangen die üblichen Geräusche und Gerüche, die das nächste Mahl ankündigten. Auf den Steinen hinterließen ihre durchweichten Stiefel nasse Flecken, und sie begann zu frösteln. Wollte sie sich kein Fieber zuziehen, musste sie die Füße trocknen, bevor sie Remigius aufsuchte.
    »Weg, geh weg!«, kreischte ein kleines Mädchen und stürzte mit einer Puppe im Arm aus einem der Schlafräume im ersten Stock.
    Marie machte dem weinenden Kind Platz, das an ihr vorbeistürzte und die Treppen hinunterlief. Albrecht hatte ihr zwei Räume am Ende des langen Korridors zugewiesen. Vergeblich hatte sie um ihre alten Zimmer gebeten, denn Eugenia hatte sie für sich beansprucht.
    »Marie! Warum habt Ihr das Kind nicht aufgehalten? Es könnte sich verletzen!«, riss die kalte Stimme der Hausherrin sie aus ihren Gedanken. Eugenia rauschte mit erhobenem Kinn in den Gang. Ihr schwarzes Kleid war noch im Stil der spanischen Mode und ließ der Freifrau durch den Stehkragen und eine weiße Halskrause, auf der ihr spitzes Kinn ruhte, wenig Bewegungsfreiheit. Die dunklen Haare wurden von einem Netz verdeckt. An ihrem Gürtel hing ein Rosenkranz, und an einer goldenen Kette schwang ein edelsteingeschmücktes Kreuz im Takt von Eugenias gezwungen ruhigen Bewegungen.
    »Wie hätte ich wissen sollen, dass ich sie aufhalten soll? Guten Morgen wünsche ich Euch, und vielleicht habt Ihr die Güte, mir zu sagen, wo mein Bruder ist? Ich möchte ihn in einer privaten Angelegenheit sprechen«, sagte Marie etwas zu forsch, denn die hellgrauen Augen ihrer Schwägerin verengten sich.
    »Dann werdet Ihr Euch gedulden müssen, Albrecht ist nicht da«, zischte Eugenia. »Ursel! Komm sofort her!«, schrie sie und nestelte an ihrem Rosenkranz.
    Marie neigte den Kopf und sah gerade noch, wie die beiden anderen Töchter ihrer Schwägerin die gelockten Köpfe zur Tür herausstreckten und Grimassen schnitten. »Hast du noch Hunger, Aras? Magst du kleine Mädchen?«, flüsterte sie laut genug, dass die Mädchen sie hörten.
    Die Kinder schrien und verschwanden in ihrem Zimmer, und Marie ging lachend weiter. Die Mädchen waren verzogen, und Charlotte, die Älteste, stachelte ihre Geschwister zu Unverschämtheiten gegenüber der Dienerschaft an. Da Eugenia sich um die Erziehung kümmerte, waren die Mädchen ihr verzerrtes Abbild.
    »Ich habe das gehört, Marie! Wenn Euer Köter den Kindern auch nur seinen stinkenden Atem entgegenhaucht, lasse ich ihn töten!« Die unbarmherzige Kälte Eugenias klirrte in jedem einzelnen Wort, so dass es Marie fröstelte.
    Auch der kleine gusseiserne Ofen in ihrem Zimmer konnte die feuchte Kälte nicht aus den Mauern vertreiben, doch sie musste dankbar nehmen, was man ihr gab. Nachdem sie die nassen Stiefel ausgezogen und auf einen Schemel gelegt hatte, schlüpfte sie in ein trockenes Paar, das sie aus ihrer Aussteuertruhe nahm. Die riesige, mit Schnitzereien verzierte Truhe, ein kleiner Pietra-Dura-Tisch und ein Porträt ihrer Mutter waren neben Kleidern und Schmuck alles, was ihr aus der Zeit mit Werno geblieben war. Ihre Mutter Hortense war bei ihrer Geburt gestorben, und Marie hütete das Bild wie ihren Augapfel.
    Der Turm ihres Onkels war über ein schmales Treppenhaus im Osten des Gebäudes zu erreichen. Als Kind war sie oft mit ihren Brüdern die engen Wendeltreppen bis unter das Dach hinaufgeklettert, um Taubeneier zu suchen. In den Turmzimmern hatte ihr Vater allerlei Kuriositäten ausgestellt, die er Gästen zeigte, um sie zu beeindrucken oder zu erschrecken. Allein in diesen seltenen Momenten hatte er Anflüge von Heiterkeit gezeigt, so dass Marie sie zu ihren kostbarsten Erinnerungen zählte. Leonhart Fürchtegott von Kraiberg hatte sie sonst nur als ernsten, freudlosen Mann erlebt, hart gegen sich und andere, wenn auch um Gerechtigkeit in seinen Urteilen bemüht und stets mit einem offenen Ohr für die Nöte seiner Pächter und Arbeiter. Aus den Erzählungen der Brüder und der Amme, die fortgezogen war, nachdem
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