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Blut und Kupfer

Blut und Kupfer

Titel: Blut und Kupfer
Autoren: C Wilken
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erneute Husten ihres Onkels. Schließlich schlurfte ein weißhaariger alter Mann, dessen Schnurrbart einem Husaren zur Ehre gereicht hätte, hinter dem Wandschirm hervor.
    Remigius von Kraiberg trug einen langen, farbenfrohen Mantel über einem blaugrünen Wams. Seine Kniehosen waren voller Säureflecken, genau wie sein Kinnbart, der zudem angesengt war. Einstmals golddurchwirkte Samtschuhe platzten an den Seiten auf, und die Waden waren mit Stofflappen umwickelt. Er runzelte die Stirn und hob den Blick nur kurz von dem Buch in seinen Händen. »Ihr seid das. So früh. Was macht Ihr hier?«
    »Guten Morgen, Oheim. Ich wollte essen und mir dann ein Buch nehmen. Habt Ihr etwas dagegen?« Sie ging zu einem der vielen Regale, in denen große Lücken klafften. In den verschlossenen Bücherschränken, die wertvolle Folianten und seltene Schriften beherbergten, waren ihr bereits freie Stellen aufgefallen, die zu Lebzeiten ihres Vaters nicht da gewesen waren.
    Remigius war ein seltsamer Mann, in sich gekehrt und verschroben. Manchmal schloss er sich tagelang in seinem Turm ein und war für niemanden zu sprechen. Die Dienerschaft mied ihn und verbreitete die wildesten Gerüchte über den kauzigen Alten, der vor Jahren ein geschätzter Steinschneider am Münchner Hof gewesen war. Mehr als einmal hatte Marie gesehen, wie Ursel sich bekreuzigte, wenn sie aus dem Turm kam.
    »Was fragt Ihr? Ich habe hier nichts zu sagen, und die Bibliothek wird von Eurem Bruder geplündert!« Wütend klappte Remigius das offene Buch zusammen und zeigte auf die Bücherschränke neben dem Wandschirm. »Da haben bis vor einem Monat noch die kompletten Schriften von Aristoteles und Erasmus gestanden! Vergil und Horaz waren vertreten und Rabelais und Boiardo! Zum Teufel mit Albrechts Spielsucht!«
    »Eugenia könnte Euch hören.« Rasch ging Marie zur Tür und drückte sie zu.
    »Dieses strohdumme Weibsstück hat nichts anderes im Kopf als den Jesuitenpater und seine Exerzitien.« Remigius warf das Buch auf einen mächtigen Eichentisch und raufte sich die Haare. »Dieser Schund! Dafür wird teures Papier verschwendet!«
    »Sie ist eben sehr fromm«, wandte Marie vorsichtig ein und las laut den Titel vor: »›Gazophylacium Christi Eleemosyna‹. Ist das von diesem Drexel?«
    »Jeremias Drexel, Hofprediger, nein, herzoglicher Ins-Ohr-Bläser!«, ereiferte sich Remigius.
    Marie schmunzelte. »Ihr könnt die Jesuiten nicht leiden.«
    Der Alte kniff die Augen zusammen und musterte sie. »Mein gichtiges Knie plagt mich, also verschwendet meine Zeit nicht mit dem Offensichtlichen.«
    »Habt Ihr keine Angst vor Pater Hauchegger? Er könnte Euch denunzieren.«
    »Weswegen?«
    »Die Dienerschaft redet so einiges über Eure Experimente im Turm«, warf Marie ihren Köder aus, denn sie war neugierig, was ihr Onkel dort oben trieb.
    »Was soll ich da schon tun? Ich schneide und poliere Edelsteine«, erwiderte Remigius und stützte sich auf den Tisch. Er hatte die feingliedrigen Hände eines Künstlers, doch die Gelenke waren geschwollen und die kleinen Finger verkrümmt.
    »Mit den geschwollenen Fingern dürfte Euch das schwerfallen.«
    »Aufmerksames Frauenzimmer. In Euch steckt mehr als im Rest dieser liederlichen Sippe.«
    »Warum seid Ihr dann überhaupt hier?«
    »Warum seid Ihr hier?«, schleuderte er die Frage zurück.
    Sie hob die Schultern. »Ich bin eine mittellose Witwe. Welche Wahl hatte ich?«
    »Seht Ihr?« Er kratzte sich den Bart und schien zu überlegen.
    »Hört auf, meine Fragen mit Gegenfragen zu beantworten!«, erwiderte Marie. Aras lief zur Tür und winselte.
    Dankbar für die Unterbrechung dieses Gesprächs sah Marie zu, wie Vroni ein Tablett mit warmer Grütze, Brot, gebratenen Eiern und Honigmilch auf den Tisch stellte.
    »Danke, Vroni.«
    Das Mädchen strahlte. »Komm mit, Aras, dein Futter steht vor der Tür.«
    Marie zog einen Stuhl herbei und setzte sich an den Tisch. Bevor sie den Löffel aufnahm, fragte sie Remigius: »Möchtet Ihr etwas?«
    »Es ist ungesund, so früh schon zu essen.«
    »Wie Ihr wollt.« Hungrig probierte sie die Eier und nahm einen Löffel Grütze, die aus Haferkörnern gekocht war. Sie wusste nicht, wie es tatsächlich um das Gut stand, doch die Köchin war ein Engel!
    Remigius ging zu einem Regal und zog zwei schmale Bücher heraus, die er sich unter den Arm klemmte. »Wenn Ihr fertig seid und nichts Besseres vorhabt, könnt Ihr mich besuchen und Euch überzeugen, dass ich mich nicht der Zauberei schuldig
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