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Blut und Kupfer

Blut und Kupfer

Titel: Blut und Kupfer
Autoren: C Wilken
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wie die frischen Scheite zu glühen begannen und die Flammen sich knisternd in das Holz fraßen. Zufrieden rieb er sich die Hände. Die Grundregeln der Alchemie! Schon lange destillierte er nur noch Alkohol und Pflanzenextrakte für Heiltränke. Zu Kaiser Rudolfs Zeit hatte sich alles um das große Mysterium, den Lapis philosophorum, gedreht.
    Alchemisten, Scharlatane und Wunderdoktoren hatten sich in den Läden der kleinen Gassen gedrängt, die zur Burg hinaufführten. Sie alle waren besessen von dem einen Ziel: der Transmutation. Sie wollten für Kaiser Rudolf Gold herstellen, und wenn das nicht gelang, so doch zumindest das Verjüngungselixier. Welch eine Hybris! Sallovinus nahm einen Becher vom Ofen, in dem sich ein Rest Honigwein befand. Sein Magen knurrte, aber er musste auf Ruben warten, der als Edelsteinschneider bei den Castruccis arbeitete und im günstigsten Falle etwas Fleisch und Brot aus der Werkstatt mitbrachte.
    Die Castruccis hatten sich mit ihrer Steinschneidewerkstatt einen Ruf erarbeitet, der Rudolfs Tod überdauerte. Der alte Cosimo Castrucci hatte die Technik des Pietra-Dura aus Florenz mitgebracht und schuf Tischplatten und Tafelbilder aus Edelsteinen, die jeden in sprachloses Erstaunen versetzten. Sallovinus leerte den Becher und nahm ein Ebenholzkästchen vom Tisch, dessen Deckel und Seiten mit winzigen Blumen und Vögeln aus bunten Steinen verziert waren. Das Kästchen war Rubens Gesellenstück gewesen. Wie viele Jahre waren seitdem vergangen?
    Bernardus Sallovinus stellte das zierliche Kunstwerk wieder auf den Tisch und beugte sich über eine Papierrolle. Die festen Bögen waren unbeschädigt nach langer Reise in ihrem Lederbehältnis nach Prag gelangt. Sorgsam strich er die Blätter auseinander und befestigte sie an den Seiten mit einem Mörser und glatten Steinen, die zu diesem Zweck bereitlagen. Was der Bote heute vom Fluss heraufgebracht hatte, war eine Sammlung von Kupferstichen, die ihm ein alter Freund aus dem Herzogtum Bayern geschickt hatte. »Plagt dich auch die Gicht, Remigius?«, murmelte Sallovinus in seinen Bart und studierte aufmerksam die Abbildungen von rechteckigen Tafeln, die mit einer auf den ersten Blick verwirrenden Mischung aus floralen Ornamenten, Figuren und fremdartigen Symbolen ausgefüllt waren.
    »Was hast du für mich, alter Freund? Ein Rätsel?« Nachdenklich strich der Gelehrte über die Abbildungen. Im beiliegenden Brief erklärte Remigius, dass er die Stiche bei Kilian in Augsburg gefunden hatte. Sallovinus schnalzte anerkennend mit der Zunge. Die Werkstatt der Kupferstecherfamilie Kilian stand für Qualität. Die Stiche waren nicht nur handwerklich gut gemacht, sondern ein Abbild der Wirklichkeit, und das war der springende Punkt. Sallovinus blinzelte, um die kleinteiligen Kupferstiche besser lesen zu können, doch es gab keine Bildunterschrift, nur die Motive in den Tafeln, die für sich genommen bemerkenswert genug waren. Über alle Maßen außergewöhnlich! Woher kenne ich euch?, fragte er sich und beugte sich noch dichter über die Blätter.
    Unten im Haus wurde eine Tür zugeschlagen, und jemand kam pfeifend die Treppen herauf. Wenig später schwang die Tür auf und schlug mit lautem Knall gegen eine Truhe.
    »Ruben! Gib doch acht, und mach die Tür zu!«
    »Seht her!« Stolz warf Ruben einen Sack auf den Tisch, aus dem ein halbes Brot, Zwiebeln, eine Handvoll kandierte Früchte und eine gebratene Gänsekeule herausfielen.
    »Ah! Nicht doch! Nimm das weg!«, rief Sallovinus und schob die fettige Gänsekeule von den Blättern, doch der Schaden war schon angerichtet. Ein großer Fettfleck zog sich über zwei Stiche.
    »Feinstes Fleisch – und was ist der Dank? Castrucci sendet es Euch mit seinen Empfehlungen!«, entrüstete sich der dunkelhaarige Mann, dessen Umhang steif von der Kälte war. Er entledigte sich des schneenassen Kleidungsstücks und ließ seinen Blick prüfend durch das Studierzimmer seines Mentors schweifen. »Ihr braucht Holz.«
    »Ja. Schau doch, Ruben. Das kam heute Morgen mit einem Boten aus Bayern.« Sallovinus zeigte auf die Kupferstiche und trat zur Seite, damit Ruben das Licht des Fensters nutzen konnte.
    Der jüngere Mann runzelte konzentriert die Brauen und trat ins Licht. Er war von ebenmäßigem Wuchs, hatte ein gerades Profil und dunkle Augen, die kein Gefühl preisgaben. Sein muskulöser Körper strafte die feingliedrigen Hände Lügen. Wer sich auf einen Streit mit Ruben einließ, musste sich auf einen Gegner gefasst
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