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Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer
Autoren: J Seidel
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Vorspiel
    Hitze und Stille liegen wie staubige Tücher über allem. Jede Bewegung der drei Mädel im Hof des Pensionats erscheint zu langsam, jedes ihrer Worte klingt gedämpft. Die hölzernen Wände des Stalls und die Steine der Hausfassade werfen kaum ein Echo zurück, wenn die drei miteinander flüstern. Der heiße Wind bewegt von Zeit zu Zeit die Wipfel der Ulmen. Bussarde drehen darüber ihre Kreise, ohne einen Flügelschlag, werden kleiner, bis sie kaum mehr zu erkennen sind.
    Die Mädchen gehören zu den Jüngsten in Haus Ulmengrund, und Geheimnisse zu haben, ist schön. Im Schatten des Laubs hocken die drei um ein Geviert aus rötlichem Ölpapier, das in ihrer Mitte auf den Steinen liegt und nicht größer ist als ein Taschentuch. Fünf Zaubertütchen aus Papier liegen darauf. Drei sind aufgeschlagen und bannen ihre Blicke.
    Das erste Tütchen zeigt sechs winzige, bleiche Hornschnipsel. Auf dem zweiten Umschlag liegt eine Haarlocke, mit Zwirn umwunden, für alle Zeit fixiert. Im dritten offenen Briefchen liegt nur ein Häufchen Sand und Erde. Aber der Sand ist wertvoller als alle Edelsteine Afrikas.
    Das erste Mädel sagt: »Mein Cousin hat den Sand vor einer Steintreppe in Berlin aufgewischt, an der Stelle, wo das Auto des Führers immer hält und er aussteigt.«

    Die anderen hören mit roten Gesichtern zu.
    »Mein Cousin hat sich hinter einer Litfaßsäule versteckt«, erzählt das Mädel weiter, »und als der Führer oben auf der Treppe war, ist er schnell hingerannt. Diese Erde hat die Stiefelsohlen des Führers berührt!«
    Die Mädchen fühlen einen Schauer über ihre Rücken laufen.
    »Das Haar habe ich aus Finsterwalde mitgebracht«, berichtet das zweite Kind. »Meine Tante arbeitet dort in einer Uniformenfabrik. Sie machen auch Schirmmützen und sogar die Schirmmützen für den Führer. Ab und zu kommt er dorthin und lässt Maß nehmen, probiert neue Mützen an und lässt die getragenen liegen. Die Haare hat meine Tante mit einer Pinzette vom Stoff gelöst und gesammelt.« Das Mädchen sieht die anderen an und zeigt auf die dunkle Locke. »Das ist das Haar des Führers.«
    Sie rufen leise Ah und Oh.
    »Ein Schulfreund meines Onkels«, erzählt das dritte Mädel, »ist Leibdiener des Führers, wenn er mit seinem Sonderzug auf Reisen ist. Er bringt ihm Brot, Milch und Salat, und manchmal hört er ihn durch die Wand leise beten, dass es dem deutschen Volk in Zukunft besser gehen soll. Die Fingernägel lässt sich der Führer von seiner Sekretärin schneiden, die die Reste niemals auf den Boden wirft. Sie lagen auf der Untertasse, als der Leibdiener den Kaffee abräumte.« Das Mädchen schweigt einen Moment und wechselt mit den anderen Blicke. Dann sagt es: »Es sind die Fingernägel unseres Führers.«
    Die Kinder berühren den Schmutz, die Locke und die Hornschnipsel mit ihren Fingerspitzen und schütteln sich vor Glück.

    Das ferne Böllern eines Motorrads dringt in die Stille. Die Mädchen horchen auf.
    »Der Brot-Korff, der Verrückte«, sagt eines.
    Sie falten die drei offenen Tütchen zusammen und wickeln alle fünf ins Ölpapier, legen das Päckchen in eine Blechdose und tragen sie zu einer kleinen Kapelle an der Straße, wo sich ihr Versteck befindet.
    Das Motorenknattern wird lauter. Schließlich biegt ein Gespann in den Hof und macht eine ordentliche Staubwolke. Der Lärm erstickt, der Staub verweht. Ein Mann steigt ab, zieht seine Ledermütze und grüßt. Er öffnet die schwarze Schürze des Beiwagens und winkt die Mädchen zu sich. Sie helfen ihm, ein Dutzend Brotlaibe über den Hof ins Haus zu tragen.
    »Euch ist klar, dass ich weiß, was ihr gerade gemacht habt, bevor ich kam«, sagt der Mann.
    »Wir haben nichts gemacht, Herr Korff.«
    »Glaubt ihr etwa, dass ich euer Versteck nicht kenne?« Er nickt zu der Kapelle.
    »Niemand kennt es.«
    Korff lacht. »Die Bernsteinkapelle kennt jeder. Da solltet ihr vorsichtiger sein.«
    Ein Mädel entgegnet: »Wer das Versteck verrät, dem wächst die Hand aus dem Grab, wenn er tot ist, oder er muss für immer durch die Welt fahren wie der Ewige Jude.«
    »Meine Eltern sind schon lange mausetot«, sagt Korff, »und Jude bin ich auch nicht. Gott sei Dank in dieser Zeit.«
    »Werden Sie uns denn verraten?«
    Er schüttelt den Kopf.
    Sie legen die Brote drinnen auf den Küchentisch und gehen wieder in den Hof hinaus. Der Mann beugt sich zu dem
Beiwagen hinunter. Als er sich aufrichtet, hat er drei neue, kleine bunte Tüten in der Hand.
    »Bourbonische
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