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Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer
Autoren: J Seidel
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Kettenrädern, die jeden Morast bezwangen.
    Der Onkel habe verstanden und sei auf seinen Berghof zurückgekehrt.
Seine Erfindung war also ein »Kettenfahrzeug« gewesen, wenn auch nur eine primitive Karre, die, von Ochsen gezogen, viel leichter zu den höchsten Wiesen kam und nicht mehr stecken blieb. Jetzt fuhr man in den Krieg damit und tötete.
    Jockel fragte sich, was aus der Erfahrung des Schweizer Onkels zu lernen war. Gab es ein Schicksal, das Lebenspläne zielgenau durchkreuzte? Oder gab es umgekehrt ein Glück im Leben, das aber genauso mutig herausgefordert werden musste? Der Onkel hatte einfach Pech gehabt. Wäre er ein paar Jahre früher mit seiner Erfindung nach Zürich gefahren, wäre er reich geworden, weil eine Fabrik ihm die Idee abgekauft hätte. Reich, aber vielleicht auch unglücklich, überlegte Jockel. Am Ende wäre das Patent nach England verkauft worden, um daraus Panzer zu bauen, mit denen man Menschen totschießt.
    Was also würde geschehen, wenn er, Jockel, sein Schicksal herausforderte und ohne das Einverständnis des Vaters zur Wasserkuppe lief, um sich zum Piloten ausbilden zu lassen?
    Er spielte mit dem Gedanken, die Mutter zu fragen. Aber er hatte nicht den Mut, und wenn er ehrlich war, fehlte ihm das Vertrauen, ob die Mutter ihn nicht an den Vater verraten würde und er eine neue Tracht Prügel bekam angesichts solcher Ideen und Pläne. Der Vater hatte eine lose und harte Hand.
    »Unsereins hat keine Pläne und Ideen zu haben«, hatte er erklärt, als er vor langer Zeit die Erzählung der Mutter hörte. »Geschah deinem Schweizer Onkel ganz recht, dass ihn die Herren auf dem Patentamt ausgelacht haben.«
    »Sie haben ihn nicht ausgelacht«, hatte die Mutter entgegnet.

    Der Vater hatte sie finster angeschaut. »Ich hätte ihn ausgelacht. Er ist ein Bauer und kein Ingenieur.«
    Jockel schlug Zaunpfähle ein, spannte Draht, reparierte das Scheunendach, fütterte Schweine und Ziegen, half in den Feldern bei der Kartoffelernte. Mittendrin hob er plötzlich den Kopf, machte gekonnt den Greifvogelruf nach und blickte nach Osten, wo in der Ferne der Kamm des hohen, kahlen Berges lag: die Wasserkuppe.

Wunderbare Menschen
    M ein Papa ist Arzt, meine Mama Krankenschwester. Sie arbeiten in Afrika im Urwaldspital von Doktor Schweitzer. Leider haben sie keine Zeit für mich, weshalb ich hier mit euch zusammenleben muss. Aber so ist es nun mal.« Reni blickte in die Dunkelheit des Schlafsaals. Einige der Mädchen lauschten, die meisten schliefen.
    »Vor ein paar Tagen«, flüsterte sie, »wurde ein kleiner Junge aus Samkita ins Spital gebracht. Er hatte schreckliches Bauchweh und Fieber. Sein Vater hat ihn auf dem Rücken zum Fluss getragen und mit einem winzigen Boot den Ogowe hinab bis nach Lambarene gebracht. Papa hat den Jungen sofort untersucht. Dazu gehört natürlich auch immer, dass er etwas Blut abnimmt und es unter dem Mikroskop betrachtet.«
    Im Schlafsaal war es jetzt so still, dass die Mädchen glaubten, die Zikaden und Grillen von Lambarene zirpen zu hören.

    »Vater ging zu dem Schrank, in welchem das Mikroskop stand, machte die Tür auf und kriegte einen furchtbaren Schreck. Das Instrument war nicht mehr da.«
    »Sag bloß, jemand hat es geklaut«, zischelte Friederike.
    »Der Schrank war leer. Papa machte sich sofort auf die Suche. Der kleine Junge hatte Schmerzen und sein Vater war schon ganz verzweifelt. Aber das Mikroskop war nirgendwo zu finden. Da hatte Mama einen Einfall. Sie ließ den großen Gong schlagen, und das bedeutet, dass sich alle im Spitaldorf versammeln müssen, alle Ärzte, Krankenschwestern, Helfer, Arbeiter, sogar die Kinder.«
    »Kinder?«, fragte Hilde von oben herunter.
    »In Afrika müssen alle Kinder mitarbeiten, das ist ganz normal«, flüsterte Friederike. »Reni, erzähl weiter!«
    Aber Reni war einen Moment abgelenkt und dachte an ihre Tante Magda, bei der sie groß geworden war und für die sie ebenfalls bereits als Kind hatte arbeiten müssen. Die Tante hatte eine kleine Schneiderei geführt, drei Näherinnen hatte sie beschäftigt, und Reni hatte schon mithelfen müssen, als sie erst sechs oder sieben Jahre alt gewesen war. Viel weiter reichte ihre Erinnerung nicht zurück …
    »Als alle im Urwalddorf versammelt waren und in einer langen Reihe nebeneinander standen, wusste meine Mutter gleich, was passiert war. Sie ging schnurstracks auf Taschenmesser zu und stellte ihn zur Rede.«
    »Auf Taschenmesser ?«, fragte Monika ungläubig.
    »Die Neger
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