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Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer
Autoren: J Seidel
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bereits in der Obhut der Tante?) Das Zweite war ein Geldschein, mit dem sie noch heute ein unumstößliches Gesetz verband: Geld nimmt man nicht in den Mund! Weil es Bazillen gibt, das sind unsichtbare, aber sehr gefährliche Tiere, die einen Menschen töten können.
    Im Gegensatz zu der verspeisten Puppe gab es den Geldschein noch. Er lag zuunterst in der versteckten Schachtel mit den Zeitungsfotografien, und manchmal las Reni sich die magischen Worte noch einmal laut vor. Fünfzig Milliarden Mark zahlt die Reichsbankkasse gegen die Banknote dem Einlieferer . Lange war ihr der Satz wie eine Zauberformel erschienen.
    Sie blickte in die Dunkelheit des Schlafsaals.
    Tante Magda buk sonntags Berliner, bestrich sie liebevoll mit glänzendem Zuckerguss und rief: Die funkeln wie Judeneier im Mondschein!
    Die Bedeutung dieser Worte war Reni genauso rätselhaft gewesen wie die Zauberformel auf dem Geldschein, bis sie vor gar nicht langer Zeit unfreiwillig die vertrauliche Unterhaltung zweier Mädel mitgehört hatte. Es ging um Jungen, um Männer, vor denen Angst zu haben es berechtigte Gründe gebe. Da hatte sie an diesen Jockel denken müssen, den sie gar nicht kannte. Sie wusste nur, dass er auf dem Schlömerhof
lebte. Er war nicht älter als sie selbst und sah doch fast erwachsen aus. Sie waren sich bei der Feldarbeit begegnet. Er hatte dagestanden und sie angesehen und gelächelt. Dass er Jockel hieß, hatte sie von den anderen erfahren, und er war ihr nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Aber das verriet sie nicht.
    Reni fühlte, dass sie nun doch müde war, die Augen wurden schwer.
    »Was willst du einmal werden, Reni?«, flüsterte Friederike.
    »Ärztin.«
    »Wie deine Eltern?«, fragte Friedel.
    Meine ausgedachten Eltern, dachte Reni. Und sie antwortete: »Ich weiß nichts über meine Eltern. Du hast deine wenigstens gekannt, bis sie gestorben sind.«
    »Sieben Jahre lang. Davon musst du aber drei abziehen, als ich zu klein war. Wirst du nach Afrika fahren, wenn du Ärztin bist, zum Oganga? Ich glaube auch, dass der Doktor Schweitzer ein guter Mensch ist.«
    »Der Doktor Schweitzer«, sagte Reni, »der heilige Franz von Assisi, Friedrich der Große, das sind wunderbare Menschen, Friedel, glaub mir, und unser Führer gehört auch dazu. Er hat ja ein Geheimnis, er isst kein Fleisch und keinen Fisch, weil er nicht will, dass wegen ihm ein Tier getötet wird. Das musst du dir mal vorstellen. Da kommt er mir fast vor wie Jesus.«
    »Er ist der einzige Grund«, flüsterte Friederike, »warum ich nicht sofort weglaufe von hier. Weil wir alle zusammenhalten müssen, damit es besser wird. Ich liebe ihn einfach …«
    »Ich renne weg, wenn ein Prinz kommt und sich in mich verliebt«, sagte Reni. »Albern, oder?«
    »Dein Prinz heißt Jockel.«

    »Der ist nur ein Knecht.«
    »Aber ein hübscher Knecht.«
    »Wenn schon.«
    »Denkst du nie an ihn?«
    »Doch.«
    »Wie ich dich beneide. Er wird dich bestimmt wieder ansprechen. Er denkt an dich, ganz sicher.«
    »Aber er ist ein Knecht«, wandte Reni ein. »Oh, ich bin dünkelhaft, nicht wahr? Ich bin eingebildet und undankbar, sag es ruhig. Ich verachte mich ja selbst. Aber ich muss doch Angst haben vor ihm, wenn wir uns treffen würden. Wer weiß, was er mir sagen wird. Nein, er soll gar nichts sagen.«
    »Doch.«
    »Ich ekele mich aber. So ein Mann …«
    Sie glucksten.
    Nach einer kurzen Weile hauchte Friederike: »Jockel ist kein Mann, er ist ein Junge.«
    Aber da war Reni eingeschlafen.

Weltfriedensfest
    D amit wir uns nicht missverstehen, Fräulein Knesebeck«, sagte Frau Misera und bot Waltraut einen der Besuchersessel an. »Ich habe Sie zu diesem Gespräch in mein Arbeitszimmer gebeten, nicht weil ich Sie maßregeln möchte. Als Leiterin dieses Hauses trage ich nicht nur die Verantwortung dafür, dass unsere Kinder Kleidung und gesundes Essen erhalten. Ulmengrund hat, wie Sie wissen, eine pädagogische
Tradition, für deren Fortführung ich unseren Geldgebern gegenüber ebenfalls verantwortlich bin. Eine Erziehung zur Selbstständigkeit ist ein großes Ziel, das in unsere Zeit passt und auf die Zukunft gerichtet ist.«
    Sie brach unerwartet ab, nachdem sie sich selbst gesetzt hatte und ihr ausladendes Kleid ordnen musste. Es hatte Plusterärmel und wirkte zu mädchenhaft für ihr Alter. Sie ist bestimmt so alt wie meine Mutter, dachte Waltraut, während sie merkte, dass ihr die Hitze ins Gesicht stieg. Frau Misera hatte eine Art zu sprechen und zu blicken, die Waltraut
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