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Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer
Autoren: J Seidel
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tuschelten.
    »Ihr seid so laut, dass wir morgen eine Strafe kriegen«, drohte Friederike von oben. »Nächsten Monat ist Musik im Dorf und wir werden wieder nicht hindürfen.«
    »Dann schlafen wir jetzt eben«, sagte Reni.
    »Nein, bitte!«, flehte Hilde von rechts oben. »Ich bin ganz munter und kann noch nicht schlafen.«
    »Weil du an Jockel denkst«, meinte Karin.
    Hilde schoss ein scharfes »Ziege!« gegen sie zurück.
    »Erzähl noch was, Reni!«, bettelte Friederike. »Noch eine einzige Minute, noch eine klitzekleine Sekunde …«
    »Die Negerbuben schlafen alle zusammen in einem großen Haus aus Lehm und Stroh«, erzählte Reni weiter. »Sie tragen nur Lappen um die Hüften und besitzen nicht einmal Hemden.
Meine Mutter erklärt ihnen jeden Tag, wie man sich die Hände waschen muss, aber sie tun es nicht.«
    »Pfui«, sagte Hilde.
    »Sie waschen die Hände mit Sand«, ergänzte Reni.
    »Mit Sand?«
    »Natürlich. Es gibt nur Sand in der Wüste«, flüsterte Janka.
    »Es ist ein Urwaldspital, kein Wüstenspital«, wandte Friederike ein.
    Reni quietschte mit den Federn ihres Bettes. »Es gibt nur Lehm und Stroh für die Dächer der Häuser. Meine Eltern haben schon ein Dutzend neue Häuser bauen müssen, weil jedes Haus beim nächsten Regen einfach zerfließt. Es gibt auch keine Steine. Außerdem müssen die armen Neger oft Schlangen und Skorpione essen. Es herrscht die reinste Not.«
    »Igitt!«, rief Karin.
    »Die Steine sind vor langer Zeit zersprungen, weil alle Neger nachts so laut schnarchen wie Monika«, flüsterte Hilde.
    Tatsächlich hörte man ein leises Schnaufen und Prusten. Das Lachen der Mädchen hörte nicht auf.
    »Wenn wir einmal tanzen dürften zur Musik im Dorf, Reni, mit wem würdest du am liebsten …?«, fragte Karin von oben herunter.
    Janka kam Reni mit der Antwort zuvor: »Natürlich mit dem krummen Dietrich aus Abtsroda. Sie sagen, er kann mit der Hand Fische aus dem Teich fangen. Mir wären die zu glitschig.«
    »Sie will nur mit dem Führer tanzen, wo sie doch so kluge und gebildete Eltern in Afrika hat«, sagte Hilde und gluckste vor Lachen.
    »Du musst dich gerade lustig machen«, entgegnete Reni. »Du träumst doch jede Nacht von ihm. Am liebsten würde
sie mittags mit den Mädchen im Hof spielen und die falschen Haarsträhnen und Fingernagelschnipsel des Führers anhimmeln.«
    »Hexe!«, zischte Hilde.
    »Er würde keine von uns auch nur einmal ansehen«, sagte Janka ernst. »Nicht mal dich, Tausendschön.«
    »Oh, vielen Dank, Fräulein Janka«, flüsterte Reni. »Jetzt schlafen wir wirklich.«
    »Nein.«
    »Doch.«
    »Erzähl uns noch ein bisschen!«
    »Morgen, beim Kartoffelschälen.«
    »Versprichst du es?«
    »Dumme Gans!«
    »Schwör es uns, Reni! Sonst holt dich der krumme Dietrich aus Abtsroda und schleppt dich in den Wald …«
    »O nein! Ich schwöre es!«

Die Gemeinschaft
    S eltsam, dachte Waltraut Knesebeck, dass es Gesichter gibt, die jeder beim ersten Anblick ungewöhnlich schön, harmonisch und anziehend findet. Ihr gefiel das Gesicht der Greta Garbo sehr oder das von Errol Flynn, aber das verriet sie niemandem. Vor einem Jahr war sie bei einem Besuch in Kopenhagen in einem Kintopp gewesen und hatte die Garbo als Mata Hari* gesehen, wie sie als Geliebte des russischen Generals Schubin Spionage betreibt.

    Reni Anstorm war vor ein paar Wochen erst fünfzehn Jahre alt geworden, aber sie hatte ein Gesicht und eine Anmut, die jeden sofort fesselten. Die großen blauen Augen standen im richtigen Abstand zueinander, die Höhe der Wangenknochen stimmte, Schwung und Farbe ihrer Lippen, die Nase fügte sich in alles, die Zähne waren gerade gewachsen, regelmäßig, weiß, die Stirn, das Kinn … alles harmonierte. Wie bei Mata Hari oder Flynn. Was für ein ungewöhnliches Geschenk!
    Reni lebte seit ihrem elften Lebensjahr im Heim. Sie war von der Behörde hergebracht worden, kurz nachdem sie, Waltraut, selbst erst einundzwanzig Jahre alt, die Stelle als Erzieherin angetreten hatte und in Haus Ulmengrund eingezogen war.
    So schön wie ihr Gesicht war auch Renis Haar, dessen Glanz und ungewöhnliche Länge Waltraut zu Tränen rühren konnten. Selbstverständlich ließ sie sich nichts anmerken.
    Reni trug das Haar geflochten und zu einem großen Nest zusammengesteckt. Das Flechten der Zöpfe fand jede Woche statt, wenn sich Reni das Haar wusch. Alle Mädchen wollten daran flechten und wechselten sich ab. Es dauerte. Reni hielt still und summte Lieder. Wenn sie so draußen
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