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Bluescreen

Bluescreen

Titel: Bluescreen
Autoren: Kevin Mark; Vennemann Greif
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blieben in ihren Silos. Das Marktsystem bricht regelmäßig zusammen; in diesen Momenten werden dann eher sozialliberale Politiker gewählt, die mithilfe des Staates das System reparieren sollen, damit es erneut kollabieren kann. Arbeitsplätze werden geschaffen, und Arbeitsplätze gehen verloren. Vielleicht verfügen die Menschen, einige Philosophen gehen ja davon aus, doch über so etwas wie eine grundlegende Vernunft. Sind sie in geschlossenen Räumen unter sich, ist ihnen durchaus klar, dass man die Erde nicht in Brand stecken sollte. Es sind die Medien, die sie ganz durcheinander bringen.
     
     
     
    Dass sich das Alltägliche im Angesicht des Apokalyptischen behaupten möge – das ist meine Hoffnung in dieser Zeit. Unsere Epoche steht an einem Anfang nach einem Ende. Das ganze Geblubber ist meines Erachtens ein Indiz dafür, dass die Kultur sich wieder bemerkbar macht. Oft handelt es sich dabei um die ganz rudimentäre Kultur der Sprache und des Slangs, der Witze und der Lieder, eine Kultur, wie Menschen sie eben gemeinsam machen, weitergeben und erben, ohne zu wissen, woher sie eigentlich kommt und ob sie irgendeinen Wert hat. Der Status unserer Werke – als Kultur – ist wichtiger geworden angesichtsihres angekündigten Endes, das von seinen Apologeten mit ein wenig Natur verputzt wird. Einer der Widersprüche dieser späten Kultur besteht darin, dass diejenigen, die die absonderlichsten technologischen Fortschritte im Namen des Offiziellen oder der Autorität verteidigen, indem sie den Bruch mit den Methoden der Vergangenheit gutheißen, dies zumeist im Namen einer Natur rechtfertigen, die angeblich allem zugrunde liegt. Es gehe eben immer um die möglichst effiziente Befriedigung der natürlichen Bedürfnisse des Menschen, das sei nun einmal der Lauf der Dinge. Die Schlacht um die Erschaffung der Natur ist die große Geschichte der Gegenwart. Foucault sagte, dieser Kampf reiche zurück bis zu den Ursprüngen der liberalen Ökonomie. Bourdieu, der darin die Grundlage für die Fortdauer aller Formen der Herrschaft erkannte, sprach davon, die Geschichte werde in Natur verwandelt und damit zugleich dementiert. Kenneth Burke, ein Veteran des demokratischen Utopismus der dreißiger Jahre, beklagte eine vergleichbare Tendenz in der Generation der 1968er. Er sagte, dies sei das Ethos gewesen des »weniger Politik, mehr Apokalypse«.
    In den Kapiteln dieses Buches geht es mir nicht so sehr um einzelne Formen, die für unsere Zeit typisch sind, als vielmehr um die totale Ästhetisierung unserer Leben. Man könnte auch sagen: um ihre Dramatisierung, Narrativisierung. Leben lässt sich heute fassen als Produktion von Erfahrungen, es folgt den Strukturen des Dramas. Diese Dramen erschaffen in der Gegenwart in erster Linie Helden jenes Typs, den man früher auf Theaterbühnen vorfand, in jüngerer Zeit auf Kinoleinwänden und Fernsehbildschirmen. Sie thematisieren also nicht jene inneren Bewusstseinsformen, die man etwa mit dem Roman in Verbindungbringt oder mit den Figuren, die in einem Gesellschaftsroman die Politik einer Stadt repräsentieren. Unsere Leben erinnern eher an die Personen antiker Stücke, die man noch ohne Weiteres einfach nach einem ihrer Charaktere benennen konnte – Ödipus oder Iphigenie. Oder besser noch: an ganze Reigen dieser Stücke, in denen eine Heldin, die in der einen Tragödie aufgrund einer bestimmten Wendung des Mythos ihren Tod gefunden hat, in der nächsten quicklebendig wieder auftaucht, um weitere Eigenschaften ihres Charakters zu offenbaren. Wenn man allein die großen, klassischen Wendepunkte von Lebenserzählungen betrachtet (Kriege, Hochzeiten, schwerwiegende, unumkehrbare Entscheidungen), so sind unsere Leben heute ärmer an »Ereignissen« als jemals zuvor. Allerdings werden sie von ihrem Anfang bis an ihr Ende von einem Gefühl der Ereignishaftigkeit durchzogen, und das gilt sowohl für unsere unmittelbaren Erfahrungen als auch für die durch die Narrative der Medien vermittelten.
    Deshalb muss all das, was folgt, »Schreiben über Medien« sein – und zwar in dem Bewusstsein, dass zwei dieser Medien eventuell nicht die erwarteten sind: Sex und Geld. Doch auch sie stellen Modi der Repräsentation und Versuche dar, in unserer Fantasie auszuprobieren, wie unser Leben sein könnte. Fantasien, die den Korridor der Optionen, die wir uns zu leben trauen, oft allzu sehr einschränken.
    Wir könnten auch ganz anders leben. Historiker werden sagen: Selbstverständlich, Ihr habt
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