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Bluescreen

Bluescreen

Titel: Bluescreen
Autoren: Kevin Mark; Vennemann Greif
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werden sie dafür sorgen, dass eben dieser Wahnsinn weitergeht.
    Muss ich erwähnen, dass die Mehrheit jener Sexkinder, die wir betrachten und begehren, vor dem Gesetz keine Kinder sind? Die Repräsentantinnen des Sexkindes sindin unserer Unterhaltungsgesellschaft häufig zwischen achtzehn und einundzwanzig Jahre alt – und damit, rechtlich gesehen, Erwachsene. Ihre Bedeutung wurzelt darin, dass ihr sexueller Wert rückwärts auf den Status des Kindes verweist und nicht voraus auf den der Erwachsenen. Britney zum Beispiel, die als Achtzehnjährige berühmt wurde, als sie im Video zu »Oops, I did it again« lasziv die Hüften kreisen ließ, oder Paris, die dem Vernehmen nach 19 war, als ihr Amateur-Porno 1 Night in Paris entstand. Beide verdanken ihre Popularität dem Mickey Mouse Club, genau wie Christina, die sich im Alter von zwanzig Jahren mit aufgeknöpftem Minirock auf dem Cover des Rolling Stone zur Schlagzeile »Ratet mal, was Christina will« die Lippen leckte; und Lindsay, die Disney-Film-Veteranin, deren Brustumfang, extreme Abmagerungskuren und versehentliche Selbstentblößungen auf dem roten Teppich Sendungen wie Entertainment Tonight füllen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass es sich hier nicht um erwachsene »Stars« wie Nicole Kidman oder Julia Roberts handelt. Sie gelten nicht als »schön« und treten auch nur sehr selten in Spielfilmen für Erwachsene auf. Stattdessen bilden sie für zwei sehr verschiedene Teilpublika den Kern der Unterhaltungsnews: für Kinder zwischen neun und vierzehn, denen die Musik und Filme der Sexkinder als solche gefallen; und für Erwachsene, die in diesen Werken etwas anderes entdecken. Aber was eigentlich genau? 1
    Merkwürdigerweise sind diejenigen unter uns, die sich heute mit diesen Fragen auseinandersetzen, selbst einmal Sexkinder gewesen: Unsere Kindheit und Jugend fielen schließlich in die Zeit nach der epochalen Wende. Man sollte also annehmen, dass wir uns daran erinnern. Unsere Sexualität war längst befreit, als man sie uns überreichte, kaum dass wir in der Welt aufgetaucht waren. Wie all die anderen Zwölfjährigen fühlten auch wir uns wie Rebellen. Wir bildeten uns das nur ein, aber daraus kann man uns schwerlich einen Vorwurf machen. Doch was haben wir, diese riesige Gang sexualisierter Lümmel zwischen zehn und dreizehn Jahren, die den Fernseher im Kellernach verschlüsselten Pornos durchstöberten, auf Sofas einigermaßen durcheinandergerieten und dann, in Moschuswolken gehüllt, die Hemden verkehrt herum an, zurück nach oben kamen, um Luft zu schnappen – was haben wir eigentlich gelernt? Das Phantasma wird offenkundig kein bisschen kleiner, wenn man selbst ein Teil davon war. Noch immer betrachten wir all diese Kids voller Neid, und dieser Neid ist eines der Geheimnisse, die es noch zu lüften gilt. Es ist, als ginge mit dem Erreichen des Erwachsenenalters eine umfassende Selbstblendung einher. Obwohl wir es eigentlich besser wissen müssten, glauben auch wir nun, dass die Kinder es permanent miteinander treiben und eine erfüllte Sexualität genießen. Wenn wir uns den Sexkindern genauso begierig zuwenden wie alle anderen, dann vor allem deshalb, weil sie als Mitglieder der Gesellschaft und als Individuen auch für uns eine Funktion erfüllen. Und das fehlende Puzzlestück hat wohl weniger mit der Tatsache zu tun, dass es sich um Kinder handelt, als vielmehr mit den strukturellen Bedingungen, unter denen sich das Erwachsenenleben heute vollzieht.
     
     
     
    Die Lockungen der ewigen Kindheit rühren in Amerika teilweise von dem überwältigenden Gefühl her, man selbst habe so etwas wie die wahre Jugend noch immer nicht wirklich erlangt, weil die wahre Jugend doch eigentlich durch vollkommene Freiheit gekennzeichnet sein sollte, die allerdings niemand erreicht. Vermutlich wissen sogar die Studenten, die in den Frühlingsferien brünstig in der Sonne braten und hemmungslos saufen, dass es hinter dem Horizont mehr gibt als die perfekten Frühlingsferien. Ohne den ausgeprägten Drang, endlich erwachsen zu werden, und ohne eigenständige Werte, die die Bedeutung der Kindheit zugunsten jener klarer umrissenen Freiheiten relativieren, die sich mit zunehmendem Alter und größerer Reife einstellen, kann es passieren, dass das Gefühl der Unzufriedenheit bis in alle Ewigkeit fortdauert – bis in die Zeit der Ehe, des Aufziehens der eigenen Kinder, der Rente, ja sogar bis zum Tod.
    Ausgerechnet die College-Jahre, eine Phase, in der man doch
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