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Bluescreen

Bluescreen

Titel: Bluescreen
Autoren: Kevin Mark; Vennemann Greif
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schließlich schon ganz anders gelebt. Und Menschen, die Einblick in unsere Seelen haben, würden wohl ergänzen: Insgeheim leben wir auch heute oft ganz anders, als es nach außen den Anschein hat.
    Was jedoch die Seelen angeht – diesem Thema werde ich mich später einmal widmen. Im Moment besteht die dringendste Aufgabe darin, jene Phänomene aus ungewohnten Perspektiven zu analysieren, die uns allen besonders vertraut vorkommen – der Sicherheit halber.
     
    MG , New York, April 2011

DIE BLAUE LAGUNE
    Was einem Menschen einfällt, wenn er an zwei arme kleine Kinder denkt, die ohne Eltern auf einer einsamen Insel gestrandet sind, verrät viel über sein Weltbild.
    Nur eine nährende und schützende Insel könnte die Kinder am Leben erhalten. Mit Lagunen voller leckerer kleiner Fische, so langsam, dass Kinderhände sie fangen können, während ringsum die reifen Kokosnüsse von den Bäumen fallen. Keine Stürme, nur milde Brisen. Die ineinander verflochtenen Wedel der Palmettopalmen schützen den Jungen und das Mädchen vor dem sporadisch niedergehenden Regen. Ganz selten ein Gewitter, das einen Blitz herabschleudert, welcher das kleine Feuer entfacht, über dem sie ihr Abendessen zubereiten.
    Meine Frage lautet: Ob die beiden an diesem verlassenen Ort, der alles bietet, was sie zum Überleben brauchen (so dass keine tödliche Gefahr das hypothetische Szenario stört), wohl Geschlechtsverkehr haben würden, sobald sie die Pubertät erreichen? Woher sollten sie wissen, wie man das macht? Von wem sollten sie es lernen?
    Alle, denen ich diese Frage jemals gestellt habe, antworteten: »Aber natürlich! Weißt du, irgendwann würden sie sich eben umarmen. Vermutlich schlafen sie eng aneinander geschmiegt, seit sie sich erinnern können. Nachts ist es auf so einer Insel womöglich ziemlich kalt. Und in der Pubertät übernimmt dann eben der Körper das Kommando.« – »Du meinst, er bekommt eine Erektion?« – »Keine Ahnung, er wäre irgendwie erregt, siewäre irgendwie erregt, sie bewegen sich, es fühlt sich gut an, das eine landet im anderen, unvermeidlich. Wie Nut und Feder.«
    Wir alle erinnern uns an Die Blaue Lagune .
    Über die Jahre ist es meinen Diskussionspartnern nicht wirklich gelungen, mir die starke Intuition auszureden, dass es alles andere als selbstverständlich ist, dass sie irgendwann Geschlechtsverkehr haben. Ich bin allerdings ein Dickkopf. Doch selbst wenn der hübsche Knabe und das schöne Mädchen in neun von zehn Fällen im Trial-and-Error-Verfahren den Koitus entdecken würden, kann eben auch der andere Fall eintreten, in dem sie dies nicht tun, so dass die Spezies Mensch auf dieser Insel ausstirbt. Allein das Szenario, in dem die beiden eng aneinander gekuschelt schlafen, lässt die Neunzig-Prozent-Wahrscheinlichkeit plausibel klingen. Aber nehmen wir einmal an, es ist so feucht und heiß auf dieser Insel am Äquator, dass man nachts überhaupt nicht von schwitzenden Gliedern umarmt werden möchte?
    Ist der vollendete Geschlechtsakt als Quelle von Orgasmen – wir reden hier nicht von bloßen Berührungen, von Streicheln und Reiben – nicht eigentlich ein Produkt der Kultur? Ähnlich also wie Werkzeuge und die Sprache? Die Natur hat uns nur das pure animalische Begehren mit auf den Weg gegeben. Der Koitus, wie wir ihn vollziehen, ist mit Kultur durchzogen wie mit feinen Äderchen. Er wurde irgendwann entdeckt und dann weitergegeben, nicht anders als die Sprache. Je nach Kultur ist er variabel. Man kann ihn lernen, es gibt Raum für Veränderung. Ein Ergebnis der Natur in der Gesellschaft, keine unveränderliche Konstante, die immer schon da war. Er wird von unseren Sehnsüchten in Gang gesetzt, aber dieRichtung, die das Ganze nimmt, ist allein von unseren Gewohnheiten bestimmt und daher offen für Innovation.
    Ein Wort zu unseren nächsten Verwandten im Tierreich, es ist einem alten wissenschaftlichen Artikel entnommen:
    »Es wurde beobachtet, dass geschlechtsreife, aber unerfahrene Männchen, die man mit empfängnisbereiten Weibchen zusammengebracht hatte, zwar deutliche Zeichen der sexuellen Erregung aufwiesen, dass die daraus resultierenden Versuche, den Geschlechtsakt zu vollziehen, allerdings selten von Erfolg gekrönt waren. Das naive Männchen scheint nicht fähig zu sein, seinen Beitrag zum Paarungsakt zu leisten. Man vermutet daher, dass der biologisch erfolgreiche Koitus bei dieser Spezies Lernen und viel Übung voraussetzt. Männliche Nagetiere hingegen, die man in Isolation
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