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Bluescreen

Bluescreen

Titel: Bluescreen
Autoren: Kevin Mark; Vennemann Greif
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Die Welle der Erregung kehrt zurück, er watet bis zu den Knien darin. Als er sich dem Höhepunkt nähert, wird die Silhouette schärfer, sie erweist sich als der Umriss einer erwachsenen Frau oder gar eines Mannes. Ekelhaft! Dabei handelt es sich hierbei um nichts als um die Inversion einer Erfahrung, die charakteristisch ist für unsere Zeit. Ein Mann sieht in einiger Entfernung eine Figur mit tief ausgeschnittenem Oberteil und auf den Hüften sitzenden Jeans und glaubt, sich auf erotischen Pfaden zu befinden; tritt er jedoch näher heran, entdeckt er ein Kind. Widerlich! Versucht man, sich dagegen zu wappnen, wird alles nur noch schlimmer. Je genauer ein ganzes Land die sexuellen Eigenschaften von Kindern unter die Lupe nimmt, um sicherzustellen, dass niemand sich von solcher Kindlichkeit verlocken lässt, und je häufiger und je listiger man sich auf die Lauer legt, um ganz sicher zu sein, dass selbst die am wenigsten Vertrauenswürdigen unter uns der Verführung nicht verfallen werden, umso mehr riskiert man, die sexuelle Faszination für Kinder überhaupt erst zu schaffen. Egal wie und warum man das Kind ansieht, ob man die Fantasie nun akzeptiert oder ob man nur sicherstellen will, dass es eigentlich nichts zu sehen gibt – in jedem Fall wird man zum Komplizen an einer Abscheulichkeit.
    Wir erleben den Hochsommer der Sexkinder. Nabokov hat allenfalls ihren Frühling gesehen.
    Kinder verbringen die Zeit zwischen Junior High und Highschool und dann bis zum College heutzutage in einer Nische der modernen Welt, die wie keine andere sexualisiert und sexuellen Aktivitäten förderlich ist. Glauben jedenfalls die Erwachsenen. Kinder drehen als Gefangene in riesigen Sexkolonien ihre Runden und halten sich dabei mit heruntergelassenen Hosen an den Händen. Henry Darger, der mit seinen Mädchenarmeen zu einem emblematischen Künstler unserer Zeit geworden ist, schuf für unser Vorstellungsvermögen das, was Gauguins tahitianische Schönheiten der französischen Bourgeoisie des 19. Jahrhunderts waren – Speicher einer echten, sinnlichen, wilden inneren Natur.
    Und doch wollen wir in der Öffentlichkeit unbedingt daran glauben, dass Kinder auf Sexualität nicht genauso gut vorbereitet sind wie wir; dass sie Sex nicht verstehen und dass sie eine ganz besondere, zerbrechliche, gläserne Wahrheit in sich tragen, die gefährdet würde durch ihren voreiligen Gebrauch – als ob jene Perlen, die für uns von höchstem Wert sind (unsere Gier nach Sex, unsere Wahrheiten über die »Sexualität«), nicht auch für sie ein Schatz sein sollten.
    Die Erschaffung des Sexkindes erfolgte nicht aus dem Nichts, sie steht vielmehr erst ganz am Ende der amerikanischen Nachkriegskulturgeschichte. Sie erforderte die Zusammenführung alter, lüsterner Fantasien aus viktorianischen und progressiven Zeiten mit der tatsächlichen sexuellen Befreiung des Kindes ab der Mitte des 20. Jahrhunderts. Es galt, auch Kindern Zugang zum Konsumgütermarkt zu verschaffen, und wie man allen alles mit Sexverkauft, setzte man im Hinblick auf die Kinder ebenfalls auf diesen Faktor. Man musste die bösen Absichten der Werber in der Madison Avenue und der Modejournalisten in der Seventh Avenue ebenso mobilisieren wie die finstere Prüderie der Evangelikalen in Orange County und jene Paraliteratur über Sex mit Kindern ( Treacherous Love , It happened to Nancy , zum Beispiel, vorgeblich echte Tagebücher anonymer Teenager, in Wahrheit jedoch zumeist von Beatrice Sparks verfasst, die wiederum behauptete, lediglich Herausgeberin der vermeintlichen Tagebücher zu sein), die während antipädophiler Kreuzzüge entsteht – erotische Kunst, die in Schulbibliotheken landet. Und man benötigte das Internet.
    Die viktorianische Kinderliebe ist als Hintergrund nur locker mit der heutzutage allgegenwärtigen Auseinandersetzung mit Pädophilie und dem sexualisierten Kind verknüpft. Bei Lewis Carroll und Alice, bei John Ruskin und Rose La Touche, bei der fantastischen jungen Braut mit ihrer hauchdünnen, Gaze-ähnlichen Unschuld wissen wir jeweils sofort, dass wir uns im Reich der Lüsternheit Erwachsener befinden. Es ist die sexuelle Befreiung der Kinder , welche die Gegenwart transformiert. Wir können nicht länger behaupten, das Sexleben von Kindern sei nichts weiter als eine Fantasie. Mit anderen, möglicherweise viel besseren Worten: Wir haben die Kinder immer wieder mit Nachdruck eingeladen, an unseren Fantasien teilzunehmen. Und wenn sie einmal erwachsen sind,
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