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Bluescreen

Bluescreen

Titel: Bluescreen
Autoren: Kevin Mark; Vennemann Greif
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eigentlich lernen und sich auf die Universität vorbereiten sollte, markieren den Höhepunkt einer jeden Sexkindheit. Die Zeit auf dem College mag zur Routine werden und keine wirkliche Herausforderung darstellen, dennoch lebt man auf dem Campus, und genau deshalb ist diese Phase ideal, um das Leben als Sexkind zu perfektionieren. Man zieht zu Hause aus und lebt plötzlich unter anderen Kindern, allesamt Fremde. Man muss sich vier Jahre gedulden, um seinen Abschluss zu bekommen, und so gibt es bis dahin nur wenig mehr zu tun, als sich in fremden Betten herumzutreiben. Natürlich wird man durch MTV oder gerüchtehalber längst erfahren haben, dass man nicht mehr bekommen wird als eben diese vier Jahre. Der Unterricht selbst ist lediglich eine kurze Unterbrechung dieser institutionalisierten Orgie der Frühlingsferien und der Wochenenden. Die Partys im Verbindungshaus erlangen eine schaurig-schöne Bedeutung, nicht nur für lüsterne Erwachsene, sondern auch für die College-Studenten selbst, die dann montags von ihrer Dekadenz berichten.
    Als College-Student weiß man heutzutage ganz genau, wie es sein könnte . »Girls Gone Wild«-Videos zeigen eine Welt, in der in eben diesem Augenblick irgendein Mädchen irgendwo in Amerika ganz spontan ihr Oberteil für einen Kugelschreiber oder eine billige Baseballmütze oder sonst ein Werbegeschenk hochzieht. Man könnte meinen, es handele sich dabei um nichts als einen Scherz, wenn es nicht scheinbar allen so ernst wäre. Die Ernsthaftesten schreiben Sexkolumnen – »Sex in the (Elm) City« –, in denen sich noch die genussfeindlichsten Elitestudenten aus Yale geben, als hätten sie genauso wenig Hemmungen wie die Deklassierten auf der Florida State University. Die neuen großformatigen Campus-Sexmagazine (man denke an Boink , das 2005 an der Boston University herauskam, oder an H Bomb , das seit 2004 in Harvard erscheint) suchen in selbstgeknipsten Nacktfotos und in Berichten über Sex mit Fremden nach Wahrheit, als käme jede einzelne dieser Begebenheiten der Offenbarung der Zehn Gebote auf dem Berg Sinai gleich. Am Ende folgt stets die Erkenntnis, dass die Autorinnen und Autoren sich selbst viel besser kennenlernen können, wenn sie mit Fremden schlafen oder sich nackt fotografieren. Oft sind Frauen die treibenden Kräfte hinter solchen Publikationen. Vielleicht verspüren sie einen noch viel stärkeren Drang danach als junge Männer, sich selbst zu erkunden, solange sie es können – denn Amerika hat sie mit der Vorahnung einer riesigen Enttäuschung verflucht: Sobald das Fleisch schlaff wird, schwindet noch die letzte Freiheit dahin.
    Erst wurde die College-Zeit erfasst, dann die Highschool und nach der Highschool die Junior Highschool: Eine Sexkindheit beginnt heutzutage immer früher. »Die sexuelle Revolution hält Einzug in die Junior High«, verkündet meine Tageszeitung und präsentiert etwas als Neuigkeit, was gar nicht so neu ist. Zweimal pro Jahr rühmen Newsweek und Time die »Neue Jungfräulichkeit«.Niemand glaubt an diese »Neue Jungfräulichkeit«. Laut Umfragen wappnen sich diejenigen, die angeblich das Ideal der Jungfräulichkeit hochhalten, in ihrer Abstinenz mit ziemlich viel Fellatio. Achtzig Prozent der Menschen haben im Teenager-Alter Geschlechtsverkehr, verkündet das Center for Disease Control (warum das Center for Disease Control Aufzeichnungen über die sexuelle Normalität führt, die allen Ernstes als »epidemisch« pathologisiert wird, ist noch mal eine ganz andere Frage). Meine Tageszeitung verrät mir, dass die Menstruation heute bereits im Alter von elf oder gar neun Jahren einsetzt. Niemand weiß, warum.
    Praktisch gesehen, ist die Realität der Sexkindheit in dieser frühen Phase allerdings von Restriktionen gekennzeichnet. Sie existiert allein im Rahmen jener riesigen Institutionen, von denen Kinderleben nun einmal dominiert werden, den Schulen. In diesen gefängnisähnlich in sich geschlossenen Welten, die jeweils von einer begrenzten Anzahl von Kindern bewohnt werden, die über keine sichtbaren Statusmerkmale verfügen außer dem Wohlstand, den sie von draußen mitbringen (in Form der Kleidung), und der Überlegenheit, die sie in den Aktivitäten an den Tag legen können, die der Schulalltag bietet (Freundschaften schließen, tratschen, akademischer und sportlicher Erfolg), hat Sex eine ganz andere Bedeutung als die Zügellosigkeit der Erwachsenen oder all der Ruhm, den es auf dem College zu erwerben gilt. Noch viel früher als Sex
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