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Dostojewskijs Entwicklung als Schriftsteller: »Vom Toten Haus« zu den »Brüdern Karamasow« (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Dostojewskijs Entwicklung als Schriftsteller: »Vom Toten Haus« zu den »Brüdern Karamasow« (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Dostojewskijs Entwicklung als Schriftsteller: »Vom Toten Haus« zu den »Brüdern Karamasow« (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Horst-Jürgen Gerigk
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Vorwort
    Dostojewskijs Romane und Erzählungen haben es zu einer weltweiten Präsenz im kulturellen Bewusstsein unserer Zeit gebracht. In Tokio und Berlin, in Paris und New York, in Oslo und in Rom, in Sydney und in Rio de Janeiro halten Buchhandlungen den Meister aus Russland parat. Von Moskau und Petersburg ganz zu schweigen. Zahllos sind seine Leser.
    Unanfechtbar ist sein Ruf als Klassiker der Weltliteratur. Und doch muss sich jede neue Generation ihre Kenntnis der Werke dieses Klassikers in eigener Lektüre erwerben. Und das geschieht nicht aus Pflichtbewusstsein gegenüber der großen Tradition, sondern aus purer Lust am Text, die dieser Meister aus Russland seit eh und je seinen Lesern garantiert hat.
    Mit der vorliegenden Einführung soll dem Leser von heute der Zugang zu den Hauptwerken Dostojewskijs erleichtert werden. Die Darstellung orientiert sich primär an der Verständnislenkung, die vom Text selber ausgeht. Es kam darauf an, das natürliche Verstehen des Lesers, das nicht auf literaturwissenschaftliche Ausbildung angewiesen ist, zu bestärken. Gerade damit aber stoßen wir bei Dostojewskij auf eine Schwierigkeit, denn er hasst das »letzte Wort«, das heißt: er versteckt regelrecht programmatisch das Gemeinte, legt Fallen, die zunächst auf falsche Fährten locken, damit der Leser das Gemeinte selber findet. Das Verhältnis zwischen Text und Leser wird von Dostojewskij auf ganz besondere Weise dramatisiert. Er behält seinen Leser ständig im Auge, spielt mit dessen geheimsten Vermutungen und weiß genau, der Leser ist gern schlau. Kurzum: Dostojewskij serviert seine Wahrheit nicht auf einem Tablett, sondern verhält sich wie Sokrates in den platonischen Dialogen: der Gesprächspartner, und das ist hier der Leser, wird auf Umwegen dazu gebracht, die Wahrheit selber ans Licht zu bringen. Der russische Literaturwissenschaftler Leonid Grossman hat recht, wenn er vermerkt, Dostojewskij – das sei eine Mischung aus Platon und Eugène Sue. [1]   Dem Philosophen ist hier tatsächlich zusammen mit dem Boulevard-Schriftsteller, dem wir die Geheimnisse von Paris [2]   verdanken, ein einzigartiges Teamwork gelungen.
    Dostojewskijs Weltruhm beruht auf seinen fünf großen Romanen und auf seinem Sträflingsreport Aufzeichnungen aus einem toten Haus . Mit diesen Werken hat sich Dostojewskij einen festen Platz in der Weltliteratur gesichert, flankiert von der Erzählung Aufzeichnungen aus dem Kellerloch und dem Kurzroman Der Spieler .
    In der Reihenfolge ihrer Entstehung gelesen und analysiert, lassen diese acht Texte Dostojewskijs Entwicklung als Schriftsteller anschaulich werden. Für diese Entwicklung erweist sich der autobiographisch orientierte und dennoch radikal fiktionalisierte Sträflingsreport Aufzeichnungen aus einem toten Haus als Muttertext. Unter Verbrechern in Sibirien wird Dostojewskij, der Kriminologe und missionarische Christ, geboren. Sein literarisches Werk aus seinem Leben zu erklären darf aber deshalb nicht zum beherrschenden Prinzip der Auslegung werden. Die Details der Schaffenspsychologie bleiben im Folgenden durchweg Hilfsmittel zur attraktiven Beleuchtung der künstlerischen Sachverhalte.
    Leben und Werk hängen zwar bei Dostojewskij eng zusammen, und doch entziehen sich seine literarischen Texte den Bedingungen ihrer Entstehung. Ihre Bedeutung lässt sich weder auf ihren ursprünglichen Kontext reduzieren, innerhalb dessen sie verfasst worden sind, noch haben sie eine moderne Lesart nötig, um ihr Wirkungspotential zu entfalten. Dostojewskijs nicht zu leugnende Aktualität besteht vielmehr in der Eigentümlichkeit der von ihm gestalteten Sachen, die uns unmittelbar ansprechen: als verstandene Welt, die perfekt »ins Werk« gesetzt wurde. Diese jeweilige Eigentümlichkeit ist es, die der Interpret freizulegen hat.
    Solche Überlegungen müssen zwangsläufig sehr abstrakt wirken. Deshalb ist mein Vorwort hier auch schon zu Ende, und es beginnt das Abenteuer der Interpretation.

    Heidelberg, im Januar 2013
    H.-J. Gerigk

Die Reisen in den Westen
    Im Jahre 1862 unternimmt Dostojewskij vierzigjährig seine erste Reise ins Ausland, über die er in der Zeitschrift »Die Zeit« (Vremja) Februar und März 1863 einen Bericht unter dem Titel Winterliche Aufzeichnungen über sommerliche Eindrücke veröffentlicht. Sein Blick ist vorgeprägt vom Fazit: Russland kann von Europa nichts lernen. »Ich war in Berlin, in Dresden, in Wiesbaden, in Baden-Baden, in Köln, in Paris, in London, in
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